Zungenschlag, falscher

Unsere wunderschöne deutsche Sprache.

Unsere wunderschöne deutsche Sprache hat das „Hörbild“ vom „falschen Zungenschlag“ hervorgebracht. Schade, dass diese treffende Charakterisierung einer um einen Hauch zu vollkommenen Lüge, einer nur im kleinsten Detail verräterischen Sprache, längst untergegangen und außer Betrieb genommen worden ist. In den verstaubten Bänden alter Bibliotheken schläft sie einem jüngsten Tag entgegen, der wohl nie kommen wird. „Fake News“ ist noch nicht einmal ansatzweise ein Ersatz dafür.

Wer noch nicht im Stadium der größten Erleuchtung angekommen ist und seine letzte Inkarnation mit dem baldigen Eintritt ins Nirwana vollenden wird, wird mir Recht geben, wenn ich sage:

Es gibt Arschlöcher.

Auch wenn das Bild vom „Arschloch“ dem Bild vom „falschen Zungenschlag“ in Bezug auf Eleganz und Tiefsinnigkeit nicht das sprichwörtliche Wasser reichen kann, in Bezug auf die Prägnanz schlägt das „Arschloch“ als Metapher den „falschen Zungenschlag“ um Längen. Von daher hat dieser Begriff, der ja noch nicht einmal  als Beleidigung  oder Schmähung gemeint sein muss, durchaus seine Berechtigung. Bringt er doch einfach nur zum Ausdruck, dass da, so  sehr man ihm auch gut zuredet, so sehr man argumentiert und zu erklären versucht, doch immer wieder nur das Gleiche herauskommt. Mal weich, mal hart, mal heller, mal dunkler gefärbt, ist der Output des Arschlochs stets so beschaffen, dass man sich schnellstmöglich davon abwendet.

Das wiederum verschafft dem Arschloch einen evolutionären Vorteil. Sich nicht mit dem zu beschäftigen, was das Arschloch von sich gibt, führt automatisch dazu, dass  der Haufen wächst und irgenwann unübersehbar und dominant im Raume steht und mit Wunderbäumchen alleine nicht mehr zu vertreiben ist. Da braucht es  dann schon einen Herakles, der mit unorthodoxen Methoden, vor allem mit viel klarem Wasser, alles wegschwemmt, was die bestimmungsgemäße Nutzung des besudelten Raumes immer unmöglicher macht.

Nicht unerwähnt darf bleiben, dass es auch unter den Arschlöchern in jeder Angelegenheit stets zwei rivalisierende Fraktionen gibt. Diejenigen, die sich untereinander bestärken und sich gegenseitig absolut nicht als Arschlöcher erkennen können, finden ihre Arschlöcher jedoch auf der jeweiligen Gegenseite wieder. So dass letztlich in Anlehnung an die Weisheit des Plautus: „Ein Wolf ist der Mensch dem Menschen, kein Mensch wenn man sich nicht kennt“, die Verweigerung des Kennenlernens zur beiderseitigen, gleichermaßen abwertenden Einschätzung „Arschloch“ führt.

Inzwischen hat sich, wir sind ja zivilisiert und der Fäkalsprache entwachsen, eine ganze Reihe von Synonymen herausgebildet, die nichts anderes bezeichnen, aber mit eingebautem Wunderbaum  ihres warnenden Odeurs verlustig gegangen sind und daher viel leichter von der Zunge gehen. Die Bandbreite ist riesig. Sie reicht vom Ewiggestrigen bis zum Populisten, vom Verblendeten bis zum Utopisten, vom Kapitalisten bis zum Kommunisten, vom Nazi bis zum Antifaschisten. Wer sich Nachrichten und Kommentare, im Mainstream und in den sozialen Medien daraufhin anschaut, wo die Verfasser die eingestreuten Attribute im Grunde nur als Synonym für Arschlöcher aller Art gebrauchen, wird überreichlich fündig. Ich gestehe: auch bei mir.

Ist es aber überhaupt möglich, in einer verhärteten (Obstipation) Situation die Neutralität zu wahren? Ist es möglich, die „unmöglichen“ Argumente der Gegenseite in der Absicht des Erkenntnisgewinns zu prüfen? Ist es möglich, eigene Irrtümer, Vorurteile und Besitzstände aufzugeben, nur weil der Gegner vielleicht doch Recht hat?

In der letzten Frage liegt der Sprengstoff.

Der Versuch, neutral zu bleiben, kann durchaus noch gelingen. Auch der Versuch, aus den Gedanken der Gegner Erkenntnisse zu gewinnen, wird von keinen großen Hindernissen vereitelt. Erst wenn es ans Eingemachte geht, wenn die Gefahr droht, den sicheren Boden der eigenen ideologischen und materiellen Basis unter den Füßen zu verlieren, klappt vollautomatisch das Visier wieder herunter und das Schwert wird aus der Scheide gezogen.

Das ist ein archaisches, genetisch verankertes und sozio-kulturell nur übertünchtes Verhaltensmuster, wie ich es kürzlich in dem Aufsatz „Der Lebensraum“ ein Stück weit ausgeführt habe. Wo die eigenen Lebensgrundlagen gefährdet werden, und darunter ist beim Menschen nicht nur der physische Lebensraum, sondern auch die im Wertekanon liegende Antwort nach dem Sinn des Lebens zu verstehen, schlagen neutrales Interesse und neugierige Erkenntnissuche in Abwehrhaltung und Kampfbereitschaft um.

Die Annahme, die sehr viel jüngere, dem Denken entsprungene, sozio-kulturelle Komponente dieses Reflexes, ließe sich durch Erziehung und Indoktrination zum Verschwinden bringen, verkennt  die tief darunter liegende, arachaische Schicht, und die Gefahr, die darin besteht, diese damit „völlig ungezügelt“ wieder freizulegen.

Doch das Experiment ist in vollem Gange.

Damit zurück zum falschen Zungenschlag.

Wenn an deutschen Universitäten workshops veranstaltet werden, die sich „Antirassistisches Training“ nennen, als Teil der wissenschaftlichen Arbeit mit Universitätsmitteln finanziert und sogar den Sekretärinnen und Hausmeistern die Teilnahme verpflichtend vorgeschrieben werden soll, wie derzeit z.B. an der Uni Bayreuth, dann verbirgt sich der falsche Zungenschlag schon im Titel:

Antirassistisches Training

dient doch nicht der Verständigung der Menschen unterschiedlicher Herkunft, Hautfarbe und Religion, sondern will diejenigen mundtot machen, die als „Rassisten“ angesehen werden, weil die Argumente „dieser Arschlöcher“, wollte man sie denn neutral betrachten und versuchen, Erkenntnisse daraus zu ziehen, dazu zwingen würden, eigene Irrtümer einzugestehen und die aus diesen Irrtümern resultierenden Besitzstände (Ansehen, Einkommen) aufzugeben.

Nicht erstaunlich, dass an der gleichen Universität am 2. Juli 2019 ein workshop „Zur Kolonialität des Städtischen“ angeboten wird.

Damit soll der gedankliche Boden dafür bereitet werden, den städtischen Raum von allen Merkmalen des „rassistischen Kolonialismus“ zu befreien.

Der erste Absatz der Ankündigung spricht bereits Bände:

Vorstellungen der modernen Stadt sind eng mit der Expansion des europäischen Kolonialismus und dem Aufbau kolonialer Städte in außereuropäischen Territorien verknüpft.

Ich unterstelle, dass nicht die Vorstellungen der Stadt gemeint sind, sondern, dass die Vorstellungen, die „man“, wer auch immer das sein mag, von der modernen Stadt hat, irgendwie mit Kolonialismus verknüpft seien. Doch auch diese Interpretation des falsch gebauten Satzes lässt mich fassungslos zurück. Ich kenne niemanden, der im Zusammenhang mit modernen Städten wie Berlin, Paris, New York, Dubai oder Kapstadt zwingend Assoziationen zum europäischen Kolonialismus abruft und deshalb womöglich in ehrendem Angedenken erstarrt. Doch der nächste Satz  bringt Aufklärung:

Jedoch sind die Auswirkungen kolonialer Gewalt auf die metropolitanen (und postkolonialen) Gesellschaften Europas kaum benannt

Aha! Da ist etwas, was kaum einer kennt, weshalb  es auch kaum benannt wird. Ein Geheimnis! Und dieser Fluch der Geschichte hat auf einmal die Grenzen der modernen Städte hinter sich gelassen und bedroht nun die metropolitanen, postkolonialen Gesellschaften. Nur das flache Land, mit Wiesen und Äckern und Schafen drauf, das bleibt verschont. Da wird es Zeit, dass die kaum benannten Auswirkungen endlich benannt werden, denn,

(sie) werden in der Imagination eines aufgeklärten und demokratischen Europa außen vorgelassen. 

Jetzt spukt es aber mächtig in den Hirnen der Veranstalter. Es gibt also eine Imagination eines aufgeklärten und demokratischen Europas, die jedoch, sonst müsste das nicht erwähnt werden, mit der Realität nicht in Übereinstimmung zu bringen ist. Wer imaginiert da was? Und wie sieht diese Imagination aus?

Richtig. Hier treffen wir wieder auf den Feind, auf „diese Arschlöcher“, die der Meinung sind, Geschichte und Kolonialisierung gehörten der Vergangenheit an und seien nur mit den Realitäten, Vorstellungen und Wertesystemen ihrer Zeit zu bewerten und die sich daher nicht entblöden, auch heute noch die herausragenden Figuren der Kolonialisierung in Denkmälern und Erinnerungstafeln, in den Namen von Straßen und Schulen dem Vergessen zu entreißen. Daher klar die Absicht des  workshops:

In diesem Workshop diskutieren wir daher ‚dekoloniale‘ Perspektiven für das Verständnis europäischer Städte. 

Dekoloniale Perspektiven kann nur bedeuten, Vorstellungen zu entwickeln, wie „nun europäische“ Städte von den Erinnerungen an den Kolonialismus gesäubert werden könnten. Wie sich das auf das Verständnis europäischer Städte auswirken mag, bleibt ebenso offen, wie eine Begründung.
Warum also? Worin mag der Zweck dieses Ansinnens liegen?

Um den Versuch, die Sünden der kolonialen Vorfahren vom Angesicht der Welt zu tilgen, kann es sich nicht handeln. Es soll ja gerade darauf aufmerksam gemacht, die Auswirkungen sollen vollumfänglich benannt  werden.
Die Annahme, mit der Austilgung von Erinnerungsstücken ließe sich die Erinnerung an die Gräueltaten wachhalten, ist jedoch irrig. Über ein Strohfeuer der Empörung wegen der Zerstörung von Kulturdenkmälern hinaus wird die Erinnerung an die Kolonialzeiten nicht hinauskommen. Da aber offensichtlich auch nicht daran gedacht wird, stattdessen die europäischen Städte mit Kolonialisms-Mahnmalen, analog zum Holocaust-Denkmal in Berlin, zu schmücken, bleiben Sinn und Zweck des workshops im Dunkeln.

Nein. So dunkel  ist der Hintergrund der Aktivitäten gar nicht.

Der falsche Zungenschlag liegt hier darin, dass der Kolonialismus und der damit verbundene Rassismus der Geschichte, klammheimlich zum Rassismus der Gegenwart umgedeutet werden. Dass die bisher nur regional wirksame Holocaust-Schuld auf alle Völker der EU als unauslöschbare Kolonial-Schuld übertragen werden soll. Und dies mit der folgenden, von leichter Selbstüberschätzung getragenen Begründung:

Wir, die wir in diesem workshop dekoloniale Perspektiven diskutieren, hätten damals unsere Stimmen erhoben und dem Rassismus mit Demonstrationen und Petitionen die Stirn geboten, die Rassisten öffentlich angeprangert und zur Aufgabe gezwungen, so wie wir es heute bei jeder sich bietenden Gelegenheit in unserem Kampf gegen rechts auch tun. Weil wir aber erst heute leben, können wir diese Aufgabe nur posthum  erfüllen und wenigstens  jegliche Erinnerung an die damaligen Rassisten tilgen. Damit zeigen wir auch den Rassisten unserer Tage, also allen, die sich hierzulande noch abgrenzend Europäer, oder gar Spanier, Portugiesen, Franzosen, Engländer, Belgier, Niederländer, Deutsche, usw. nennen, dass auch jegliche Erinnerung an sie eines Tages ausgetilgt sein wird.

Gebote – Sünde – Beichte – Reue – Buße

Das ist die uralte Abfolge des Prinzips, Gefügigkeit durch Schuldgefühle herzustellen. Kirchen arbeiten nach diesem Prinzip, Geheimdienste haben es adaptiert, sogar militärische Ausbilder, Parteivorsitzende und Erziehungsberechtigte wenden es an. Ein Wunder wäre es, würden ausgerechnet die Linken und Grünen darauf verzichten.

Und wenn es nicht anders geht, dürfen die Gebote, gegen die verstoßen wurde, auch erst so weit nachträglich aufgestellt werden, dass nach den Gesetzen der Sippenhaft die Nachkommen für die Sünden der Vorfahren zu büßen haben.