Weltpolizist verteilt nur noch Geldbußen

Knapp drei Jahrzehnte einer vermeintlich unipolaren Welt haben genügt, um in den Köpfen mancher US-Amerikaner die vorher geltenden Regeln der Außenpolitik, der Diplomatie und der Fortsetzung der Diplomatie mit anderen Mitteln vergessen zu machen und auch die Frage der Gewaltenteilung mit einem glatten Nein zu beantworten.

Die USA glauben, Sie seien einzig berufen und befugt, Gesetze für die ganze Welt zu erlassen, über Zuwiderhandler auf der ganzen Welt zu richten und ihre Urteile auf der ganzen Welt zu vollstrecken.

Dabei halten sie sich wahlweise an Staaten, gerne aber auch an Unternehmen oder gar einzelne Personen, die gegen ihre weltweit verkündeten Gesetze verstoßen. Donald Trump hat in den beiden Jahren seiner Amtszeit zwar noch keinen heißen Krieg vom Zaum gebrochen (es heißt jetzt Zaun, ich weiß, bitte keine Mail deswegen), aber im Verhängen von Geldbußen, bzw. im Verteilen von Strafzetteln arbeitet er auf einen Eintrag im Guiness-Buch der Rekorde hin.

Sicher ist es angenehmer, wenn eine Ordnungswidrigkeit oder eine Straftat mit einem Bußgeld von ein paar Euro belegt wird, statt mit 10 Stockschlägen auf die Fußsohlen gesühnt zu werden. Ob die Sanktionen gegen den Iran auf Dauer allerdings angenehmer sind als die Zerstörung der iranischen Atomanlagen mit einem bunten Strauß von Cruise Missiles sei noch dahingestellt. Und dass die Sanktionen gegen Russland härter sind, als der Versuch, Russland mit militärischen Mitteln niederzuringen, ist ziemlich sicher, denn Letzteres würde nicht ansatzweise gelingen.

Der aktuelle Anlass für diesen Kommentar ist der Versand von Drohschreiben, durch den sich offensichtlich für den Staathalter der USA in Deutschland haltenden Botschafter Richard Grenell an deutsche Unternehmen, sollten die sich am Bau einer Pipeline beteiligen, die fernab des Staatsgebietes der USA in der Ostsee verlegt werden soll. Ja, es geht um den Transport russichen Erdgases nach Europa, das Projekt Nord Stream 2.

Als Werner Enke sich im Film „Zur Sache Schätzchen“ schlaftrunken im Bett wälzte und verkündete: „Das wird böse enden“, konnten ganze Kinosäle in brüllendes Gelächter ausbrechen. Wenn Grenell nun böse Briefe an etliche deutsche Unternehmen schreibt und erklärt: „Das wird böse enden“, bleibt den Unseren das Lachen im Halse stecken. Das Außenministerium meint: „Grenells Briefe entsprächen nicht diplomatischen Gepflogenheiten“, was klingt wie: „Abhören unter Freunden? Das geht gar nicht.“

Grenell hingegen erklärt, seine Drohung sei gar keine Drohung, sondern eine „klare Botschaft“ der US-Politik. Nun ja, eine klare Botschaft ist eine klare Botschaft. Das ist wieder eine vollkommen diplomatische Wortwahl, die man unter Diplomaten durchaus versteht,  und zwar als Drohung. Damit sind die diplomatischen Gepflogenheiten wieder gewahrt und das Auswärtige Amt kann in aller Ruhe wieder seinen sonstigen Beschäftigungen nachgehen.

Wer nun meint, Grenell habe seine Rolle als Botschafter schlicht überzogen, oder sich gar, wie der Spiegel meint, ins Abseits manövriert, sollte sich daran erinnern, dass Grenells Drohung ja nicht die erste ist. Es ist noch keine drei Monate her, als der US-Botschafter bei der EU, Gordon Sondland, die „klare Botschaft“ an die EU richtete: „Wir haben noch nicht alle Instrumente eingesetzt, die das Projekt ernsthaft untergraben oder stoppen könnten.“

Nochmal, zur Erinnerung: Die USA, das ist ein Staat, der von uns aus gesehen so ähnlich wie Schneewittchen bei den sieben Zwergen, weit, weit hinter den sieben Bergen liegt. Selbst die kürzeste Distanz zwischen der Ostküste der USA und der Westküste der EU misst noch deutlich über 4.000 Kilometer. Bis zum Endpunkt von Nord Stream 2 in Deutschland sind es 5.600 Kilometer, bis nach Kiew 6.800 Kilometer und bis zur Krim 7.300 Kilometer.

Doch Grenell sorgt sich, stellvertretend klare Botschaften überbringend,  darum, dass die Ukraine sicherheitspolitische Bedeutung verlöre, wenn sie nicht mehr als Transitland für russisches Erdgas benötigt würde.

Das ist eine absurde Logik, oder eine außerordentlich infame.

Ob russisches Gas durch die Ukraine geleitet wird, oder nicht, ändert weder an der geopolitischen Lage der Ukraine etwas, noch an der Einstellung des dortigen Machthabers Poroschenko gegenüber Russland, der EU und den USA. Ob russisches Gas durch die Ukraine geleitet wird, ändert nichts an der militärischen Unterstützung des herrschenden Oligarchen durch den Einsatz von US-Beratern und die Lieferung von Waffen aus den USA an die Ukraine. Selbst die Errichtung eines großen US-Militärstützpunktes in der Ukraine wäre nicht im geringsten davon abhängig, ob russisches Gas durch die Ukraine nach Westeuropa strömt, oder nicht. Soweit die absurde Logik.

Wenn das russische Gas allerdings weiterhin durch die Ukraine muss, hätten die USA mit Hilfe ihrer Marionette Poroschenko die Möglichkeit, den Westeuropäern den Gashahn abzudrehen. Wenn das in den Augen der USA die sicherheitspolitische Rolle der Ukraine ist, dann tritt hier die infame Logik des großen Bruders im fernen Westen ans Licht.

Dass Grenell dem noch hinzufügt, die Westeuropäer würden sich in ihrer Energiesicherheit von Russland abhängig machen, ist eine gleich zweimal fragwürdige Argumentation. Durch alle Krisen und Konflikte des kalten Krieges, durch alle NATO-Osterweiterungen und alle Muskelspiele der NATO hindurch, war die Lieferung russischen Gases, seit 1970 der Deal „Gas gegen Großröhren“ eingefädelt wurde und drei Jahre später die Gaslieferungen begannen, von russischer Seite nie unterbrochen worden. Außerdem hätte das Gas schon seit den 50er Jahren fließen können, hätten nicht auch damals schon die Amis ein Röhren-Embargo verhängt, das wenige Jahre nach dem Einmarsch der Amerikaner hierzulande niemand zu brechen wagte.

Als es einmal eng wurde, waren es nicht die Russen, die uns den Hahn zudrehten, sondern ausgerechnet die Ukraine, die das für die Durchleitung bestimmte Gas abzweigte, weil sie aufgrund von Zahlungsverzug selbst nicht mehr beliefert wurde. Wenn die Energiesicherheit sich verändert, dann für die EU positiv, wenn die Ukraine nicht mehr dazwischen sitzt.

Außerdem, und hier kommen wir zur zweiten fragwürdigen Argumentation, streben die USA ja an, Deutschlands und ganz Europas Abhängigkeit von Energielieferungen erst problematisch werden zu lassen, indem sie Nord Stream 2 torpedieren, denn nur so versprechen sie sich eine Chance, ihr gottverdammtes Fracking-Gas in Europa verkaufen zu können. Mit dem Gastanker, mehr als 4.000 km über den Atlantik.

Wie äußerste sich Trump jüngst zu seinem Verhältnis zur EU:

„Wenn ich in Europa beliebt wäre, würde ich meine Arbeit nicht machen. Europa ist mir egal. Ich bin nicht von Europäern gewählt, sondern von Amerikanern.“

Da wäre es doch absolut in Ordnung, wenn Angela Merkel dabei ein Licht aufginge und sich darauf besönne, dass Sie weder von den Amerikanern, noch von den Europäern gewählt wurde, sondern von den Deutschen, dass es daher ihre Pflicht wäre, deutsche Interessen zuerst zu vertreten, noch vor allen europäischen Interessen und ganz, ganz weit vor allen Interessen der USA.

Es sieht nicht danach aus, dass sie den Mut hätte – und es sieht nicht danach aus, dass Olaf Scholz bereit wäre, das Geld locker zu machen, das die bedrohten deutschen Unternehmen bräuchten, um sich ohne in wirtschaftliche Schieflage zu geraten, im deutschen Interesse am Bau der Pipeline zu beteiligen.

Lassen wir uns überraschen.

Der SPIEGEL über Grenells Drohbriefe