Untergang mit Sang und Klang – Deutschland in der EU

PaD 12 /2019 Hier als PDF verfügbar:pad 12 2019 Untergang mit Sang und Klang

 

Untergang mit Sang und Klang
Ohne Sang und Klang kann jeder.

Wenn die Europäische Volkspartei, das Sammelbecken der einst Konservativen in der EU, sich dazu durchringt, einer nationalen Partei die Mitgliedschaft in ihren Reihen aufzukündigen, dann ist das nur mit dem Heißluftballonfahrer zu vergleichen, der, im unerwünschten Sinkflug begriffen, statt nachzuheizen, die letzte volle Propangasflasche über Bord wirft.

Der Niederbayer Manfred Weber, der sich Chancen ausrechnet, Kommissionspräsident zu werden, was ihm in Bayern (BR, Kontrovers, 20.3.2019, 21.00 Uhr) einen Heimvorteil bringt, hat sich, nach einem vorangegangenen Besuch bei Victor Orban in Budapest, am Ende doch entschlossen, auf das linkere Pferd zu setzen, getreu dem alten Motto: „Rechts von der CSU darf es (in Deutschland) keine demokratisch legitimierte Partei geben“, hat er dies einfach auf die EVP übertragen, in der es nun eben auch rechts von der CSU keine demokratisch legitimierte Partei geben darf.

Nun ist die EVP, die sich auf ihre Homepage natürlich EPP (European People‘s Party) nennt, allerdings nicht mit CDU und CSU vergleichbar. Die beiden Unions-Schwestern sind nur zwei von 71 nationalen Parteien, die sich zur EPP zusammengeschlossen haben. Darunter durchaus auch solche, deren Staaten gar nicht EU-Mitglieder sind, so z.B. gleich drei Parteien aus Belarus, zwei aus Georgien, eine aus der Schweiz und zwei aus der Ukraine.

Doch noch interessanter ist, dass unter den EPP-Parteien durchaus nicht nur die ungarische Fidesz den Blinker nach rechts gesetzt hat. Der Trend, der in Deutschland noch vehement im Kampf gegen rechts gebrochen werden soll, ist längst ein EU-europäischer Trend geworden. Dass Weber die Fidesz jetzt mit großem medialen Trommelfeuer geschasst hat, ist ein Schauspiel, das einzig für das heimische, deutsche Publikum aufgeführt wird, denn nur in Deutschland können Weber und die Unions-Schwestern gewählt werden.

Dass sich Weber zu diesem Schritt gezwungen sah, ist wieder nicht der eigenen Überzeugung geschuldet, schließlich waren CSU und Fidesz, Weber und Orban ja bis vor kurzem auch öffentlich noch gut Freund, sondern der massiven Anti-Orban-Stimmungsmache aus dem links-grünen Lager.

Die Fehlentscheidung Seehofers, sich nur anfänglich verbal, aber tatsächlich nicht gegen die Zuwanderungspolitik von Angela Merkel zu stellen, um unter die Decke der vermeintlichen Mehrheit zu schlüpfen, statt konservative Werte hochzuhalten, wird von Weber auf der EU-Ebene soeben wiederholt.

Die Annahme dahinter ist wahlpsychologischer Natur. Menschen haben das Bedürfnis der Mehrheit anzugehören. Selbst wenn sie überzeugt sind, die Mehrheit folge falschen Rezepten, fühlen sie sich in der Mehrheit sicherer als in der Minderheit, deren Rezepte ihnen richtiger erscheinen.

Mit der angekündigten, aber nie eingereichten Verfassungsklage gegen Merkels Politik, wäre, so die Annahme der Parteistrategen, der sichere Hafen der Mehrheit für die Wähler nicht mehr so groß, und die Angst, sich für die Entscheidung für die Minderheit rechtfertigen zu müssen, sehr viel kleiner geworden.

Allerdings hat man die Dynamik des Stimmungsumschwungs der Wähler entweder nicht wahr-, oder die Ergebnisse der Demoskopen nicht ernstgenommen – und so kam es, wie es kommen musste.

Die verheerenden Verluste bei der Bundestagswahl von 2017 (CDU/CSU 32,9%) und bei der bayerischen Landtagswahl von 2018 (CSU 37,2%) hätten zu der Erkenntnis führen können, die falsche Strategie gewählt zu haben. Doch dieser Erkenntnis hat man sich verweigert und, statt die letztlich erkennbare und peinliche Untätigkeit Seehofers als Ursache zu erkennen, hat man die anfänglichen verbalen Kraftmeiereien Seehofers zur Ursache erklärt und auch in der CSU die weichgespülte Rhetorik fortgesetzt und noch verstärkt.

2017 reichte es gerade noch, nach langen, schwierigen, unerfreulichen Verhandlungen, gemeinsam mit der SPD die GroKo in die Verlängerung zu führen. Doch seitdem hat sich auch in der SPD viel verändert. Die zerschlagene letzte Hoffnung auf rot-rot-grün im Bund hat die überzeugten Befürworter der ungesteuerten Entwicklung einer multikulturellen Gesellschaft vollends zu den Grünen getrieben, die nun in den Umfragen als zweitstärkste Kraft auftreten.

In der jüngsten INSA-Umfrage vom 18. März steht die Union bei 29,5% die SPD bei nur noch 16,0%  – die GroKo also bei 45,5% – und das reicht unter normalen Umständen nicht mehr für die Kanzlermehrheit.

Was ist also für die Wahlen zum EU-Parlament Ende Mai zu erwarten?

Von den 705 Sitzen des EU-Parlaments, die übrig bleiben, wenn der BREXIT vollzogen sein sollte, gehen 96 Sitze an Deutschland, 79 an Frankreich, 76 an Italien, 59 an Spanien, 52 an Polen, 33 an Rumänien – und die Parlamentarier dieser sechs  Staaten dominieren das gesamte Parlament, auch aufgrund der restriktiven Regeln für den Zusammenschluss zu Fraktionen.  Schließlich braucht eine Fraktion mindestens 25  Mitglieder und darin müssen wiederum Abgeordnete aus wenigstens einem Vierteil der Mitgliedsstaaten vertreten sein.

Die politische Situation in den hier genannten großen Mitgliedsstaaten hat sich seit  der letzten Wahl vor fünf Jahren nach meiner Einschätzung wie folgt verändert:

Land Links Grün Mitte Rechts
Deutschland Schwund Zuwachs Schwund Zuwachs
Frankreich Schwund Stabil Schwund Zuwachs
Italien Schwund Stabil Schwund Zuwachs
Spanien Schwund Stabil Schwund Zuwachs
Polen Stabil Stabil Stabil Stabil
Rumänien Schwund Stabil Stabil Zuwachs

 

Die bisherige EU-GroKo aus Europäischer Volkspartei und der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten konnte auf eine klare Mehrheit von 53,8 % der Sitze bauen.

Diese Mehrheit wird klar verlorengehen. Die EVP dürfte bei etwa 22% landen, die Sozialdemokraten bei 18%.

Keine der übrigen Fraktionen – außer der ECR vielleicht – wird  groß genug sein, um eine Dreier-Koalition bilden zu können. Doch in der ECR sitzt die AfD, und das geht gar nicht.

Damit kann das Bestreben, Manfred Weber zum Kommissionspräsidenten zu machen, als gescheitert angesehen werden. Denn, wo die Parteien- und Fraktionslandschaft nicht mehr für eine Mehrheit reicht, treten automatisch die nationalen Interessen der Mitgliedsstaaten in den Vordergrund, und da steht es dann für Weber schlimmstenfalls nur 96 : 609.

Frans Timmermans zum Kommissionspräsidenten zu machen, ist da für die Parlamentarier das weitaus kleinere Übel. Der in Limburg geborene Niederländer, der schon Vizepräsident der EU-Kommission ist, wird die Sorge vor einer weiteren Stärkung der deutschen Dominanz in der EU durchaus zerstreuen können. Daher wird  er mit den Stimmen der  Sozialdemokraten, der  beiden grünen Fraktionen und den Stimmen vieler Abgeordneter der  EVP gewählt werden.

Er bietet zugleich die Gewähr dafür, wesentliche Elemente der EU-Politik ohne neue Experimente oder eine Reform der EU nahtlos weiterzuführen.

Wieder einmal scharen sich die Verlierer um den nach meiner Einschätzung schwächeren Anführer, in der Hoffnung, diesen leicht beeinflussen zu können.

 

Noch anzumerken ist, dass  das EU-Parlament natürlich nicht einfach den Kommissionspräsidenten aus seiner Mitte wählen kann.

Das Spiel ist ein bisschen komplizierter.

Erst ist der Präsident des Europäischen Rates (da sitzen die Staats- und Regierungschefs drin) am Zuge. Der sucht, in Beratungen mit dem EU-Parlament, mögliche Kandidaten und berücksichtigt bei dieser Suche das Ergebnis der Parlamentswahl. „Berücksichtigen“ ist dabei ein weit dehnbarer Begriff.

Sind Kandidaten gefunden, sucht sich der Ratspräsident einen davon aus, den er dann dem Rat vorschlägt. Der Rat sagt dazu dann ja oder nein. Und wenn der Kandidat feststeht, dann darf ihn das EU-Parlament auch noch wählen. Lehnt das Parlament den Kandidaten ab, geht die Geschichte wieder von vorne los.

 

Die von manchen befürchtete, von manchen erhoffte Implosion der EU nach der Parlamentswahl wird ausbleiben. Dafür ist das EU-Parlament eine viel zu schwache Institution, die gegenüber dem Rat und der Kommission ungefähr so viel Macht hat, wie ein Haremswächter gegenüber seinem Sultan.

Doch darf erwartet werden, dass mit Timmermans als  wahrscheinlichem Kommissionspräsidenten nun Jens Weidmann, der wegen Webers Kandidatur für die Kommissionspräsidentschaft, als Nachfolger Mario Draghis als EZB-Chef schon zurückgetreten worden war, wieder eine reelle Chance hat.

Sollte auch das nicht gelingen, wird festzustellen sein, dass Deutschland als Machtfaktor in der EU den eigenen Untergang mit Sang und Klang zelebriert hat.

  • Den Griechen mit aller Härte gezeigt, wer im Euro-Raum die Politik diktiert,
  • den ehemaligen Mitstreiter Großbritannien – nicht nur, aber  auch – wegen der Migrationspolitik in den BREXIT getrieben, und dann mit aller Macht einen geregelten Austritt verhindert.
  • Italien in der Flüchtlingsfrage  gegen sich aufgebracht und
  • am Ende auch noch die Ungarn mit lauten Misstönen aus der EVP vertrieben,
  • den Katalanen nicht beigesprungen,
  • die Österreicher vergrätzt,
  • auf Macrons Vorschläge mit distanzierter Höflichkeit nicht eingegangen …

Ja was erwartet man sich denn im Land der Fahrverbote, des Kohleausstiegs und der Gendersternchen noch von den übrigen Mitgliedsstaaten?

Wenn wenigstens für Deutschland bei alledem unter dem Strich etwas herausgesprungen wäre!

Wo ist denn der innerhalb der Gemeinschaft erzielte deutsche Exportüberschuss hingekommen?
Wenn man sich die Target 2 Salden und die Verpflichtungen aus den Rettungsschirmen anschaut, sieht es ganz so aus, als hätten wir uns nun auch im Exportwahn zu Tode gesiegt.