To: Uthoff, Max

Gestern Abend, Kelheim, Weißbräu-Saal.

Saal voll, Balkon voll, geschätzt 500+x  Menschen  wollen Max Uthoff sehen, und vor allem hören.

Erste erfreuliche Feststellung: Gegenüber der Vorstellung vor rund einem Jahr ist das Publikum um gefühlte 20 Jahre jünger geworden. Die in Ehren Ergrauten, die immer noch von Dieter Hildebrandt schwärmen, haben die Mehrheit verloren. Nachgerückt sind die mittleren Preisklassen, 30, 40, 50 Jahre alt. Nach fünf Jahren Anstalt (neulich war Geburtstag der  neuen Anstalt mit Claus von Wagner  und Max Uthoff) hat das ZDF mit seiner als Kabarett verkleideten Hintergrundinformations-Sendung also eine neue Zielgruppe erschlossen. Es gibt wieder Hoffnung für Deutschland.

Uthoff, im Solo, einsam, nur mit einem Stuhl versehen, auf dem er hin und wieder Platz nimmt, was den Beleuchter ins Schwitzen bringt, ist von magischer Präsenz. Er hätte Demagoge werden können. Ist, auf seine Weise sogar einer, auch wenn er damit keiner Partei, keiner Organisation, keinem Bündnis die  Schafe zuführt, sondern nur wild entschlossen ist, Licht ins Dunkel zu bringen, da wo die Medien in ihren häppchenweisen Erzählungen die großen Lücken lassen.

Uthoffs Spiel war an diesem Abend mehrmals hart am Rande der Publikumsbeschimpfung. Diesen Trend machte er gleich zu Beginn klar, als er mehrmals insistierte: „Was wollen Sie eigentlich von mir?“, und dabei die (seiner Meinung nach) nicht anwesenden CSU Wähler, die unvermeidlich anwesenden SPD-Wähler, die FDP-Wähler, die Grünen-Wähler und die ebenfalls unvermeidlich anwesenden AfD-Wähler unter sein kabarettistisches Feuer nahm, das allerdings nicht wie in Veitshöchheim aus Konfetti-Kanonen kam, sondern eher Macrons Tränengas- und Gummigeschoss-Verteidigung entsprach, also geeignet war, „beim Feind“ und seinen beflissenen Mitläufern Verletzungen hervorzurufen. Die LINKE, bzw. die Linken, fanden sich im Kurzwitz: „Zwei Linke – sind gleicher Meinung“, dann noch halbwegs freundlich ermahnt wieder.

Diese Rundum-Unzufriedenheit des Künstlers mit den nach statistischer Wahrscheinlichkeit tatsächlich in kleinen oder größeren Fraktionen im Saal sitzenden Vertretern polischer Grundrichtungen, bzw. politisch Verführter, einschließlich der mehrmals „abgewatschten“ Hundebesitzer, lässt im Rückschluss auf seine persönliche Stimmungslage nur die Annahme zu: Entweder, er wünscht sich die Monarchie zurück, denn die hat praktisch keinen einzigen Schuss abbekommen, oder, er will alles Bestehende, Etablierte, Gewohnte einreißen und an seiner Stelle etwas Neues einpflanzen, dass eben nicht die Vereinigung des Alten (Querfront) ist, sondern etwas, von dem er auch selbst nur eine vage Vision hat, von welcher er jedoch vollständig ergriffen ist. „Melancholie“,  nannte  er das, um zu beschreiben, dass er darunter leidet, nicht zehn oder  zwanzig Jahre früher geboren worden zu sein, um die bunten, aufbruchsfreudigen 60er und 70er Jahre noch miterlebt zu haben, um dann daraus die nicht zu Ende gesprochene Pointe zu kreieren, auch Alexander Gauland zeige ein solche Melancholie …

Das  war so ungefähr der Augenblick, an dem mir klar wurde: Der Mann, der da auf der Bühne steht, ist die Kunst-Figur „Max Uthoff“, die von einer Person gleichen Namens und gleicher Erscheinung gespielt wird, die einen Text vorträgt, welcher für die Figur geschrieben wurde, auf dass die Figur die gewünschte Wirkung erzeuge. Das erklärt die bisweilen eindimensionale Sichtweise der Figur, die eben selbst nicht umhinkommt, ihre Erzählung häppchenweise und mit großen dunklen Lücken vorzutragen, weil sonst die Klarheit der Vision im Durcheiander der vielfach rückgekoppelten Realität verloren ginge, vor allem aber, weil zwei Stunden Auftritt nicht ausreichen würden, auch nur ein Thema so weit zu behandeln, dass am Ende zwei Linke mit zumindest ähnlicher Meinung nach Hause gehen könnten.

Nimmt man diese „Entschuldigung“ ernst – und man sollte sie ernst nehmen, dann hat  Uthoff  Großartiges auf die Bühne gebracht. Der zentrale Teil, in dem er das Publikum im Saal – etwa in der Mitte – in zwei Teile teilte, nämlich vorne, beim Licht, an der Bühne, den „reichen Norden“, hinten im Saal, den „armen Süden“ und somit die Nutznießer des Welt-Systems und die Ausgebeuteten des Welt-Systems auf eine Weise in greifbare Nähe brachte, wie es  die Realität des Planeten gar nicht möglich macht, ging, wie es so schön heißt, an die Nieren. Damit hat er zweifellos Bewusstsein geschaffen, hat alle verdrängten Informationssplitter aus dem Vergessen auf die Bühne der Relevanz geholt und, ohne allzusehr mit Schuldgefühlen zu spielen, ein „Unwohlsein“ ausgelöst, das nachwirken wird. Bei manchen nur ein paar Stunden, bei anderen vielleicht ein Leben lang.

Nein. Ein Rezept hat er nicht mitgeliefert. Das hat mich während der Vorstellung  gestört, vielleicht sogar ein bisschen geärgert. Er, der Zampano da vorne, sagt  mir, was ich auch weiß, dass es so nämlich nicht weitergehen kann, und tut dann so, als könne St. Martin seinen Mantel nicht nur mit einem Bettler teilen, sondern gleich mit einem ganzen Heer von Bettlern. Da hätte man argumentieren können, dass es so doch auch nicht geht, dass das Boot doch voll ist, dass Deutschland nicht das Sozialamt der Welt sein kann, dass eben nicht nur Bettler kommen, sondern auch Verbrecher, dass der Nationalstaat die einzige Sicherheit ist, die es für ein Volk geben kann, während die „Eine-Welt-Regierung“ nur noch undemokratischer sein kann als die EU, und so weiter, und so weiter …

Und weil er kein Rezept geliefert hat, hat er seine Zuschauer mit der Aufgabe alleine gelassen, eine Lösung zu finden, für ein Problem, das größer ist als die Verlustängste des reichen Nordens jemals sein können.

In mir nagt das. Es nagt so sehr, dass ich den Glauben an die Inhalte der Begriffe „Gesinnungsethik“ und „Verantwortungsethik“, so wie sie derzeit vor allem in der Migrationsdebatte gebraucht werden, verloren habe. Was, wenn „Verantwortungsethik“ einfach nur die Ethik des Egoismus des reichen Nordens ist? Nein, so einfach ist es auch nicht, denn die Suche nach der Wahrheit, auch nach der wahren Verantwortung, die kann unter der Laterne, unter die man uns gestellt hat, nicht gefunden werden.

Die Krankenschwester, der Dachdecker, der Kfz-Mechatroniker und die BWL-Studentin in Deutschland und die Müllhalden-Bewohner Nigerias, die Kindersoldaten in Somalia, die vom Bürgerkrieg zermürbten Massen in der Republik Kongo, die stellen zwar scheinbar zwei Enden einer Skala dar, die von bittere Armut bis Wohlstand reicht, aber sie haben direkt nichts miteinander zu tun. Das Bindeglied, meinetwegen die Regie und die Theaterkasse, ist da immer noch ausgeblendet.

Der Feind der Armen im Armen Süden sind nicht die prekär Beschäftigten, die Hartz-IV-Empfänger, die Facharbeiter und die Apotheker im „reichen Norden“, beide sind notwendige Glieder in einer Verwertungskette, die aus billigster Sklaven- und Lohnarbeit auf der einen Seite und dem Konsumzwang auf der anderen Seite jene weltweit explosiv wachsende Verschuldung generiert, die sich – als buchhalterischer Gegenpol – zwangsläufig und unausweichlich als Vermögen der „Veranstalter“ des großen Spiels niederschlägt.

Uthoff hat das gesagt. Aber die Sätze über den Kapitalismus waren eher rar, und – hier kann ich nur für mich sprechen – seine Kapitalismuskritik erschien mir vor meinem Hintergrund viel zu flach. Aber die Figur „Max Uthoff“ ist ja auch nicht ausschließlich für mich gestaltet worden. Mit etwas Glück, haben andere da sogar ein großes „Aha-Erlebnis“ gehabt. Das wäre jedenfalls zu wünschen.

Uthoffs Solo-Programm heißt: „Moskauer Hunde“. Die  kommen zwar an einer Stelle kurz vor, aber eher allegorisch: Zigtausende Straßenhunde in Moskau, die sich vom Menschen (vom System) emanzipiert haben, könnten Anlass sein, über den hündischen Gehorsam im eigenen Dasein nachzudenken, ob das angekommen ist, weiß ich nicht. Den Versuch war es  jedenfalls wert.

Mit diesem Programm zieht er noch eine ganze Weile durch die Republik. Sollte ich Sie neugierig gemacht haben:

Hier tritt Max Uthoff demnächst auf.

Die Einladung, nach der Vorstellung bei einem Glas Weißbier noch mit ihm zu sprechen (fragen, loben, kritisieren, beleidigen) habe ich nicht angenommen. Nicht, weil es  schon spät war, sondern weil ich diese Runden kenne. Jeder will seinen Satz sagen, sagt ihn irgendwann auch, Uthoff muss antworten, tut das dann auch, doch bevor es wirklich ans Eingemachte gehen kann, macht der Wirt die Lichter aus.

Ein Abend, genügend Rotwein um die Nacht durchzuhalten, in einer Runde von nicht mehr als vier oder fünf Leuten, darauf würde ich brennen. Doch weiß ich selbst, dass die Zeit des Einzelnen nicht ausreicht, den Wünschen aller gerecht werden zu können.

Danke für den Auftritt, Max.