Sloterdijk – und die Kunst des Möglichen

Philosophen sind problematisch.

Sloterdijk ist unter den Zeitgenössischen vielleicht der Problematischste. Anders als Precht, den ich für mich gerne den „Andre Rieu der Philosophie“ nenne, weil auch er den Effekt über den Gehalt stellt, stellt sich Sloterdijk der Tiefe. Es spielt keine Rolle, dass er dabei gelegentlich versinkt. Auch seine „Tauchgänge“ sind anregendes Gedankenfutter. Als ich 1983 seine „Kritik der zynischen Vernunft“ gelesen habe, war ich begeistert und überzeugt, Sloterdijk verdiene einen Sitz im Olymp.

Sein 10 Jahre später erschienenes Essay, „Im selben Boot – Versuch über die Hyperpolitik“, von Suhrkamp mit großzügigem Satzspiegel und superdickem Papier, fast schon Karton, auf 80 Seiten aufgeblasen und mit einem noch als Buch zu identifizierenden Format und Gewicht in den Handel gebracht, ist der „Zynischen Vernunft“ an Breite und Tiefe weit unterlegen, weist jedoch die gleiche Treffsicherheit – und geradezu prophetische Hellsicht  auf.

Gestern Abend, auf der Suche nach einer erbaulichen Lektüre, fiel mir das Bändchen in die Hände – und als ich es aufschlug, und die ersten Sätze nach Jahren wieder einmal las, war es, als ob ein Blitz einschlüge. Ich zitiere:

„Bismarcks bekanntes Diktum, Politik sei die Kunst des Möglichen, verbirgt eine Warnung vor dem Übergriff großer Kinder auf den Staat.

In den Augen des Staatsmannes wären Kinder wie jene Erwachsene geblieben, die nie in die Lage kamen, den Unterschied zwischen dem politisch Möglichen und Unmöglichen zuverlässig zu erlernen. Die Kunst des Möglichen ist gleichbedeutend mit der Fähigkeit, den Spielraum der Politik gegen Zumutungen aus dem Unmöglichen zu schützen. Als königliche Kunst stünde die politische demnach an der Spitze einer Rationalitätspyramide, die zwischen Staatsraison und Privatraison, zwischen Fürstenweisheit und Gruppeninteressen, zwischen politischen Erwachsenen und politischen Kindern ein hierarchisches Verhältnis etabliert.“
(Peter Sloterdijk, Im selben Boot, Suhrkamp 1993)

Am Donnerstag hat Renate Lilge-Stodiek, Chefredakteurin bei EPOCH-TIMES Deutschland, meinem Artikel über die ignorierten Gefahren der Energiewende den Link auf den Aufsatz „Das Elend der Eliten“ von Frank Hennig eingefügt, in dem Hennig den von Sloterdijk angesprochenen „Übergriff großer Kinder auf den Staat“ mit den Realitäten der deutschen Gegenwart  trefflich illustriert.

Etwas weiter gefasst, mehr die EU einbezogen und in zeitlich erweitertem Rahmen, findet sich das gleiche Klagelied auch in meinem Aufsatz vom 18. Dezember 2018, „Das Sterben der Blender„.

Noch etwas früher verfasste ich ein Pamphlet über „Die Dummheit“, in dem ich auf’s Ende zu zu folgendem Schluss gekommen bin:


Wo immer du der Dummheit nachgibst, frisst sie dich auf!

Wieso? Das ist doch vollkommen unmöglich? Es ist doch umgekehrt! Die Klugen und  die Gerissenen beuten die Dummheit aus. Das haben wir doch soeben in aller Klarheit erfahren.

Bitte nochmal fast ganz nach vorne blättern. Da steht nämlich geschrieben:

Dummheit ist die Krankheit des mit sich selbst Zufriedenen.

Von dieser Definition aus wird einsichtig, dass Dummheit eben nicht das Privileg bildungsferner Schichten ist, sondern ebenso da diagnostiziert werden kann, wo Eliten ihren Lebenszweck in Selbstbeweihräucherung gefunden haben, wo Alternativlosigkeit vor anstrengendem Nachdenken schützt und wo Gesetze, Regeln und Hierarchien das Individuum von jeglicher Verantwortung frei stellen, die es nicht für sich selbst übernimmt.

Dummheit wird oft mit Faulheit verwechselt, weil beide Eigenschaften so oft gleichzeitig zu beobachten sind. Wo Dummheit die Ursache ist, können die Symptome der Faulheit nicht ausbleiben.

Die Dummheit begegnet uns doch nicht nur da, wo sie vermeintlich sofort zu erkennen ist. Die Dummheit begegnet uns oft auf Augenhöhe und nicht selten in höherrangigen Positionen. Überall da, wo es auf nichts als auf das reibungslose Funktionieren ankommt, besteht eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, auf jene maßlos selbstzufriedene und stinkfaule Dummheit zu treffen, die sofort die ganze Hand ergreift, wenn man ihr auch nur den kleinen Finger reicht.

Weil es der Dummheit, auch in der höchsten Position, letztlich immer nur auf Fressen, Saufen, Sex und Selbstdarstellung ankommt, und weil die Dummheit auf Selbstzufriedenheit beruht, wird sie niemals eigene Defizite erkennen sondern immer den Dritten suchen, dem sie dafür die Verantwortung zuweisen kann, was in der Regel so weit geht, dass dieser Dritte tatsächlich glaubt, für die Defizite des Dummen, von dem er sich ausbeuten lässt, verantwortlich zu sein.

Dies beginnt scheinbar harmlos in der Paarbeziehung, wo es schnell selbstverständlich wird, dass einer der beiden den Großteil der Verpflichtungen des anderen übernimmt – erst im Irrtum gefangen, die Liebe würde dazu verpflichten, dann aus nicht mehr hinterfragter Gewohnheit, schließlich vom anderen als dessen Gewohnheitsrecht unnachgiebig eingefordert.

Es setzt sich fort in jeder Form von Zusammenarbeit, ob zwischen Kollegen, zwischen Chef und Mitarbeiter, wobei durchaus nicht nur der Chef, sondern auch der Mitarbeiter der profitierende Dumme sein kann, und es endet schließlich da, wo es überhaupt nicht mehr nachvollziehbar erscheint,  nämlich in der Politik zwischen ganzen Parteien.

Das überzeugendste Beispiel, aber bei weitem nicht das einzige, bietet das Schicksal der GroKo aus Union und SPD und Grünen.

Nun, werden Sie sagen, die Grünen sind doch gar nicht in der GroKo vertreten. Da haben Sie Recht. Offiziell nicht. Aber die Grünen sind von den drei angesprochenen Gruppen die einzige, die neben einem Rest von Neugier noch einen ziemlich starken Gestaltungswillen aufbringt.

Die  deutlich größere, selbstzufriedene SPD, deren Job es eigentlich wäre, eigene Vorstellungen zu entwickeln, hat die Grünen für sich arbeiten und Konzepte entwickeln lassen, die von der SPD anschließend in rotes Papier gewickelt wurden, was den Genossen über lange Zeit  recht gut getan hat.

Die noch größere und noch selbstzufriedenere Union, die Meisterin der Selbstbeweihräucherung und Alternativlosigkeit, hat sich schließlich die SPD eingefangen und dort alles abgesaugt, was noch an grüner Kraft und grünem Leben drin steckte und sie mit Stumpf und Stiel aufgefressen, bis nur noch Nahles, Scholz und Klingbeil wie abgenagte Knochen auf dem Teller liegen blieben.

Inzwischen hat diese Union die ausgesaugte Hülle der SPD schon fallen lassen und sich voll den Grünen zugewandt, die mit der nun wieder aufscheinenden Aussicht, wieder im Bund mitregieren zu dürfen, vor neuer Willensstärke nur so strotzen und damit die auch ihnen verlustig gegangene Neugier und Originalität noch ganz prima kompensieren können.


 

Inzwischen muss konstatiert werden, dass der Einfluss eines Asperger-Kindes und eines spätpubertierenden Youtubers ausgereicht haben, um den letzten Rest der  Sloterdijk’schen Rationalitätspyramide hinwegzufegen und das hierarchischen Verhältnis zwischen politischen Erwachsenen und politischen Kindern umzukehren.

Dass beide von durchaus mächtigen Interessengruppen gesteuert werden,

  • Greta von der Plant-for-the-Planet Foundation, die wiederum von der Rockefeller-Denkfabrik  „Club of Rome“ und der „German Marshall Plan Foundation“ gelenkt, organisiert und finanziert wird,
  • Rezo von TUBE ONE Network, einem Video-Kanal der  Ströer-Gruppe, einem Vermarkter von Online-Werbung mit 12.000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von gut 1,5 Milliarden Euro, so dass die Annahme, Rezo – der ja ansonsten politisch nicht in Erscheinung getreten ist – sei für diesen fast einstündigen Werbespot für die Grünen engagiert worden, nicht rundweg von der Hand zu weisen ist,

ist den meisten davon Beeinflussten nicht bewusst gewesen, vermutlich auch noch nicht bewusst geworden. Problematisch ist nun allerdings weniger, dass das attraktive „Kindchen-Schema“ Gretas und Rezos „Trotzkinder-Rotznasen-Video“ offenbar bei den politischen Kindern mit PISA-Qualitäts-Siegel zwischen 18 und 30 Jahren das Wahlergebnis wie beabsichtigt beeinflusste.

Problematisch ist,

dass diese Nabelschau der politischen Infantilität sich wie der Parasit Toxoplasma gondii ungehindert auch noch in die letzten funktionsfähigen Gehirne im Politikbetrieb Deutschlands einnistet und jegliches Gespür für die heraufziehende Gefahr abtötet. Der Parasit, der auch Menschen befällt, dessen Endwirte jedoch Katzen sind,  treibt diesen die Beute direkt ins Maul, wie ZEIT-ONLINE es beschreibt:  Infizierte Nager (Politiker) werden vom Odeur ihrer Feinde magisch angezogen. Anstatt panisch zu fliehen, krabbeln sie vertrauensselig auf die Katzen (Grünen) zu. Überhaupt sind infizierte Mäuse (Politker) unternehmungslustiger und gehen größere Risiken ein. Sie sind leichte Beute. Dabei geht Toxoplasma mit chirurgischer Präzision vor: Die Mäuse verlieren nicht ihre Angst vor Licht (Populisten), offenen Plätzen (Russen) oder anderen Räubern (Euro-Bonds), nur die Angst vor Katzen (Robert, Annalena, Greta, et cetera)

Den Schlusssatz des heutigen Tageskommentars überlasse ich wieder Sloterdijk, der in „Im selben Boot“ durchaus zu dem Schluss kommt, dem industriellen Prozess im Großen fehle die Nachhaltigkeit und es sei Aufgabe der Menschheit, dies zu korrigieren – im Rahmen der Kunst des Möglichen!

Dieser Satz, eine Anregung, die seit 26 Jahren nicht aufgegriffen wurde, findet sich in der Suhrkamp-Ausgabe von 1993 auf Seite 54. Er lautet:

„Mir scheint, die gegenwärtige Gesellschaft kann bei den Ekelkrisen gegenüber ihren politischen Klassen im Augenblick nichts Besseres tun, als sich eine Denkpause für Grundlagenfragen zuzugestehen.“