Mein Rechtsruck?

Wenn auch der Mensch selbst glaubt, sich immer gleich zu bleiben, und wenn auch ich überzeugt bin, meine Werte und meinen Standpunkt nicht verändert zu haben, erreichen mich jedoch in letzter Zeit vermehrt erstaunte Mitteilungen, wie ich denn so weit nach rechts gerutscht sein könnte. Ich muss wohl nicht besonders betonen, dass diese Fragen umso eindringlicher gestellt werden, je weiter links die Fragestellter aus meiner Sicht verortet sind.

Mir ist dann  eingefallen, dass ich diese Problematik, vor fünf Jahren, im Vorfrühling, schon einmal weit ausgreifend behandelt habe. Das wichtigste habe ich in meinem Buch

„Wo bleibt die Revolution – Die Sollbruchstelle der Macht“

das dann im Mai 2014 erschienen  und in der Printausgabe inzwischen vergriffen ist, zusammengefasst. Das E-Book gibt es selbstverständlich noch – und sollten sich mehr als 20 Interessenten bei mir melden, die doch noch einmal die Print-Ausgabe haben wollen, dann werde ich noch einmal eine kleine Stückzahl nachdrucken lassen.

Das Kapitel „Alles ist im Fluss“ veröffentliche ich heute vollständig in diesem Beitrag.


 

Alles ist im Fluss

Man könnte auch sagen, alles geht den Bach runter – und damit erst rückt das Element des Potentialunterschiedes ins Betrachtungsfeld. Ein Bachlauf oder ein Fluss, der keinen Höhenunterschied aufweist, das ist ein stehendes Gewässer und verwandelt sich unter ungünstigen Umständen mit der Zeit in einen Sumpf – und nach weiterem Zeitablauf kann auch der Sumpf austrocknen.

Wird das Bild des Flusses oder eines stehenden Gewässers auf real existente gesellschaftliche Strukturen projiziert, finden sich verblüffende Analogien, die wiederum Vorhersagen über das vorhandene Veränderungspotential und das voraussichtliche Tempo seiner Umsetzung ermöglichen.

 

Von den Quellen bis zum Meer –
die lebendige Gesellschaft

Ein Strom, der sich behäbig ins Meer ergießt, führt ständig neues Wasser mit sich. Die Form des Flusslaufes bleibt über lange Zeiten weitgehend unverändert, doch das, was den Fluss ausmacht, das lebendige Element verändert sich laufend. Zudem ist der Strom nicht schon an der Quelle ein Strom. Viele unterschiedliche Zuflüsse, die aufgrund der geographischen Situation dem gleichen Ziel zustreben, müssen sich vereinen, damit ein kraftvoller Strom entstehen kann.

Die in einem Staat lebende Gesellschaft bildet einen solchen Strom. Die Jungen sind noch ungestüm, wie das Wasser in den Quellbächen. Erwachsen geworden übernehmen sie Aufgaben und Verantwortung, indem sie sich mit anderen zu größeren Verbänden zusammenschließen, bis sie am Ende im Wissen, dass sie eingebunden in ihren Staat, in ihr Volk, mit allen anderen in gemeinsamer Anstrengung ein großes Stück des Weges zurücklegen müssen, um das gemeinsame Ziel zu erreichen und dabei allen Nachfolgenden den Weg zu bahnen.

Dieses Bild mag in manchen Ohren einen falschen Ton erzeugen, ich verwende es dennoch mit Bedacht.

Die Assoziation, ich wolle mit dem Bild vom Fließgewässer gleichzeitig „völkische“ Gedanken verbreiten, drängt sich auf, doch es ist doch zugleich auch ein Sinnbild der Demokratie. Es gibt Nebenflüsse, die an ihrer Mündung noch gegen die Fließrichtung des Hauptstromes ankommen, sogar noch ein Stück weit im wahrsten Sinne des Wortes gegen den Strom fließen, doch die Kraft dieser Strömung hält nicht lange vor, schon bald werden sie vom Strom mitgenommen, der nichts anderem folgt, als dem Gefälle.

Mehrheiten haben schon lange vor der Einführung demokratischer Verfassungen darüber bestimmt, wohin die Reise einer Gesellschaft geht. Wie sind denn Fürstentümer und Königreiche entstanden? Doch nur, weil sich Mehrheiten gefunden haben, die dies gewollt, toleriert oder erduldet haben. Wir sind auch heute noch nicht nur für das verantwortlich, was wir tun, sondern auch für alles, was wir unterlassen.

Und wer sich mit einer Großen Koalition, wie sie schon wieder in Berlin regiert und den handelnden Personen dort nicht einverstanden erklären kann – und da gehöre ich in vielen Punkten durchaus auch dazu – der muss sich sagen lassen, dass er – selbst wenn er heftige Schwimmbewegungen gegen den Strom unternimmt – ob er nun will oder nicht, von der Mehrheit, wie auch immer sie entstanden sein mag,  schlicht mitgerissen wird.

Ich betone hier noch einmal die Begriffe „Selbstbewusstsein, Selbstvertrauen und Selbstwert“ aus dem letzten Kapitel. Einer Gesellschaft, deren große Mehrheit einen Mangel daran aufweist, geht eben mehrheitlich den von anderen vorgezeichneten Weg, ergießt sich in frisch gegrabene Kanäle, die vom eigentlichen Ziel wegführen, lässt sich regulieren, aufstauen und durch Turbinen jagen, lässt sich in Kühltürmen von Kraftwerken verdunsten, mit giftigem Müll verseuchen und zur „Wasserstraße“ umbauen, bis es heißt: Der Fluss ist tot.

Wir unterscheiden so gerne, zwischen Mensch und Natur. Warum wohl?

Nun, dieser Gedanke ist ein Trick. Ein Fluss, der über die Ufer tritt, weil er in seinem Bett eingeengt wurde, das ist Natur. Einer Gesellschaft, die – bildlich gesprochen – über die Ufer tritt und wegschwemmt, was sie stört und behindert, ist das nicht gestattet. Menschen haben sich an die Regeln zu halten, selbst dann, wenn diese Regeln vollständig gegen ihre Natur und ihre natürlichen Bedürfnisse gerichtet sind.

Die Natur braucht weder Selbstbewusstsein, noch Selbstvertrauen, noch ein Selbstwertgefühl. Sie ist einfach.

Wir sind von diesem Zustand weit weg. Wir sind nicht mehr einfach, wir müssen uns bemühen, uns selbst zu erkennen – und das in einer Welt, in der es scheinbar nur noch Zerrspiegel gibt. Zerrspiegel der Fremdbestimmung und Fremdbewertung, nach Nutzen und Gefährlichkeit. Wenn es allerdings einmal gelingt, dass Gesellschaften die Dämme einreißen und über die Ufer treten, dann feiern wir noch Jahrhunderte später die Dammbrecher als Freiheitshelden, obwohl die Dämme längst neu und noch höher errichtet sind und obwohl der Gedenk-Jubel von den Errichtern dieser Dämme angeordnet wird, damit die neuerlich Eingezwängten im Glauben bleiben, sie seien immer noch so frei, wenn nicht noch freier, wie eine Jeanne d’Arc, ein Andreas Hofer, ein Schmied von Kochel oder ein Abraham Lincoln es sein wollten.

Doch fließende Gewässer taugen auch noch für ein zweites Bild. Die Fließgeschwindigkeit in einem Fluss oder Strom ist nämlich, über die Breite der Flussoberfläche gesehen, recht ungleich. An den Ufern fließt das flache Wasser, gebremst durch die Ufergestaltung, deutlich langsamer als in der Mitte – und selbst in der Mitte gibt es noch einen Unterschied in der Fließgeschwindigkeit. Das oben treibende Wasser bewegt sich schneller als das tief unten im Flussbett. Dort, in der Mitte unten, hat das Wasser allerdings wegen des hohen Drucks, den es ausübt und der immer noch relativ hohen Geschwindigkeit die meiste Kraft, dort bewegt es nicht nur Tonnen von Sand sondern auch Steine und sogar Felsbrocken.

Rückübertragen auf die Gesellschaft, die ja auch von einer „Mitte“ geprägt wird, während sich „links“ und „rechts“ Ränder ausbilden, wird klar, dass jede Gesellschaft sich Rahmenbedingungen (das Flussbett) schafft, die das Fortkommen der „Mitte“ begünstigen, während die Mitte zugleich die Last übernimmt, die Gegebenheiten in der Tiefe zu erhalten und auszubauen.

Randgruppen, links und rechts, kämpfen mit Hindernissen, die es für die Mitte nicht gibt. Ihr Fortkommen wird gebremst und ruft bei ihnen Ungeduld hervor.

Die Frage, warum wirkliche Veränderungen so schwer in Gang zu bringen sind, warum sich im Grunde überhaupt nichts verändert, und wenn, dann zum Schlechten, also die Kernfrage dieses Buches, ist eine typische Randgruppenfrage, wenn nicht gar eine Randgruppenpsychose. Sie projizieren ihre Probleme des ufernahmen Daseins wie selbstverständlich auf die Mitte und erwarten von der Mitte jene Veränderungen, die ihnen ermöglichen sollen, sich selbst wieder der Mitte zugehörig zu fühlen. Bisweilen gelingt das sogar, doch weil der Fluss als solcher bei normalem Wasserstand immer bis an die Ufer reicht, also ohne rechte und linke Ränder nicht auskommt, werden lediglich die Menschen ausgewechselt, welche die Randgruppen bilden. Ein natürlicher Fluss, in dem es nichts als Mitte gibt, ist noch nicht einmal denkbar. Dieses Bild überfordert unseren Verstand, so wie er von der Vorstellung von Unendlichkeit und Ewigkeit überfordert wird.

Der Hinweis im letzten Absatz, „bisweilen gelingt das sogar“, bedarf vermutlich noch einer Erläuterung. Es ist ein Phänomen, das mit der „Trägheit der Masse“ zusammenhängt. Flussläufe, vor allem da, wo die Flüsse noch jung und das Meer noch fern ist, ändern häufig ihre Richtung, weil die Topologie der Landschaft dies erzwingt. Die bewegte Wassermasse – ja, die Mitte – lenkt nun aber nicht selbstständig und aus guter Einsicht in die Gegebenheiten um die Kurve, nein, sie behält ihre Richtung bei, bis sie auf Widerstand stößt und drückt dabei das ufernahe Wasser mit ihrer ganzen Kraft auf und an dieses Ufer. Betrachten Sie einen Fluss an einer scharfen Biegung. Sie werden ein steiles, unterspültes Ufer an der Kurvenaußenseite und ein flaches, von Sandbänken geprägtes Ufer an der Kurveninnenseite finden.

Der äußere Rand der Gesellschaft wird, wenn die Gesellschaft in seine Richtung marschiert, zu ihrer Speerspitze und übernimmt die Herkulesaufgabe, dem Flussbett eine neue Form, im äußersten Fall (Durchbruch) eine neue Richtung oder einen eigenständigen Seitenarm zu geben. An dieser Kehre bilden sich häufig stabile Wirbel – und in diesen Wirbeln vermengen sich die Randgruppen mit der Mitte, nicht selten zieht Wasser, das dem Wirbel entronnen ist, von da aus schnurstracks zur Mitte (werfen Sie ein Stöcken ins Wasser und beobachten Sie, wo es hinschwimmt), auch weil nach der Kehre schon wieder zwei schöne flache Randgruppenufer bestehen, die längst besetzt sind.

Die scharfe Wendung, die von einer Gesellschaft hin und wieder gefordert wird, verändert den „Querschnitt“ der Bevölkerung. Allerdings nicht radikal. Die große Masse der konservativen Mitte bleibt in der Mitte, doch dazwischen sind Mitglieder ehemaliger Randgruppen und ihr Gedankengut angekommen und angenommen worden, sie werden nun nicht mehr als Fremdkörper bekämpft, sondern mitgenommen, ja sogar unterstützt. Es hat ein gesamtgesellschaftlicher Lernprozess stattgefunden, der an der nächsten scharfen Kurve zwar wieder verloren gehen kann, aber durchaus nicht muss.

Beispiele dafür gibt es auch in der jüngeren Geschichte der Bundesrepublik zuhauf. Adenauers strikter Pro-West-Kurs, verbunden mit dem schon aus dem Nationalsozialismus gewohnten und von den USA zur Perfektion gesteigerten Anti-Kommunismus, der selbst Sozialdemokraten als Staatsfeinde wahrgenommen hat, ist spätestens mit der scharfen Wende, die von Willy Brandts Ostpolitik eingeleitet wurde, verschwunden. Erzkonservative und Sozialdemokraten mögen sich zwar immer noch nicht besonders, doch sie schaffen es, sich auf Koalitionsverträge und Grundgesetzänderungen zu verständigen, ohne dass jemand aus dieser neuen Mitte noch ernsthaft behaupten wollte, davon ginge die Welt unter.

Eine nachkriegsprüde Gesellschaft, bei denen Vermieter, die unverheiratete Paare aufnahmen, wegen Kuppelei verurteilt wurden, die mit dem Paragraphen 175 StGB die Homosexualität unter Strafe stellte, in der Bilder unbekleideter Menschen unter größter Vorsicht nur unter dem Ladentisch gehandelt wurden, die immer noch den Mann als den Haushaltsvorstand ansah, der das Leben seiner Frau in allen wichtigen Belangen bestimmen durfte, hat sich mit Oswald Kolle und Beate Uhse, unterstützt von exzentrischen Filmemachern und Werbeleuten von den religiösen Tabus befreit. Die Mitte ist voller offener Sexualität in allen Spielarten. Die einst von Strafe bedrohten Randgruppen haben Einzug in Ämter, Behörden und Regierungen gehalten und erklären selbstbewusst: „Das ist auch gut so“.

Als die Studenten im Mai 68 auf die Straße gingen, weil sie den Muff von tausend Jahren unter den Talaren nicht mehr riechen wollten, und zugleich gegen den persischen Kaiser, Schah Reza Pahlewi demonstrierten, weil sie ihn für einen Tyrannen hielten, wurden Demonstranten von der Polizei gejagt, Benno Ohnesorg von einem Polizisten erschossen – und die Bevölkerung, die Mitte, stand voll und ganz hinter der Ordnungsmacht.

Die von den Studentenunruhen in Frankreich und Deutschland ausgelösten Liberalisierungen, das neu entstehende Bewusstsein dafür, dass viele Angehörige des untergegangenen Nazi-Regimes in der Bundesrepublik schon wieder in Amt und Würden waren, hat auch in die Mitte hineingewirkt und den Kurs der Gesellschaft verändert. Doch das hat auch neue Ränder hervorgebracht. Andreas Baader und Ulrike Meinhof gingen in den Untergrund, verübten Anschläge, ermordeten den Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer und das Bundeskriminalamt reagierte darauf mit der zunehmenden Überwachung aller Bürger unter dem Schlagwort „Schleierfahndung“.

Natur- und Umweltschützer gründeten Vereinigungen und Parteien. Oh wie jaulte die Mitte auf, weil diese Spinner Unmögliches forderten. Doch der schwarze Himmel über der Ruhr, die zu Abwasserkanälen verkommenen Flüsse, Schadstoffe im Trinkwasser, Schwermetalle in den Fischen, das Waldsterben, das alles war das Steilufer auf das bald auch die träge Masse prallte und so zu einer Richtungsänderung gezwungen wurde. Nach den politischen Turbulenzen, die in Hessen erstmals einen Grünen als Umweltminister hervorbrachten, während der Bundesumweltminister Klaus Töpfer todesmutig ein Bad im schmutzigen Rhein nahm, um zu beweisen, wie sauber das Wasser darin sei, änderte sich das Umweltbewusstsein der Mitte. Die Grünen waren in immer mehr Bundesländern und dann auch im Bund mit in der Regierung. Sie haben uns Mülltrennung und Dosenpfand beschert, aber eben auch viele Gesetze zum Schutz der Umwelt, die vor allem den Schadstoffausstoß der Industrie und die Schädlichkeit der Industrieprodukte, denken wir nur an den Katalysator und das ständige Sinken des CO2-Ausstoßes der Kraftfahrzeuge, ganz erheblich reduzierten.

Maßnahmen, die es so nicht, jedenfalls nicht so früh und so engagiert gegeben hätte, hätte es da nicht eine ökologische Randgruppe gegeben, die sich von der Masse an die steile Uferböschung drücken ließ, deren Widerstand inzwischen weitgehend gebrochen ist.

Die Aufzählung weiterer Beispiele ist müßig. Man findet sie zudem nicht nur bei uns. Ein Blick über die Grenzen unserer Nachbarn, ja selbst ein Blick auf die Vorwende-Zeit in der DDR zeigt, wie Randgruppen, hier vor allem von den Kirchen beeinflusste, mit Mahnwachen und Montagsgebeten unter den Augen der stasidurchsetzten Mitte irgendwann von der Masse gegen die Mauer gedrückt wurden, bis sie einstürzte. Natürlich kann man diese Vorgänge auch unter anderem Blickwinkel betrachten, natürlich kann man Gorbatschow als Auslöser ansehen – und das ist sogar richtig. Gorbatschow, das war die Kehre, und die Masse in der DDR entschied sich gegen einen reformierten Ostblock und für den Anschluss an die Bundesrepublik, ein Bestreben, das seit der Abtrennung der DDR in der Masse latent vorhanden geblieben war.

Angesprochen werden muss zwingend die aktuelle Kehre, an der sich die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland gerade abarbeitet. Da hat jemand einen gewaltigen Gesteinsbrocken in der Mitte des Flusses versenkt und zugleich einen Kanal gegraben, über den große Mengen „Wasser“ abgeleitet werden, um zuletzt den gesamten Strom in einen noch größeren gesamteuropäischen Strom einmünden zu lassen.

Doch alles Bemühen, das alte Flussbett mit dem Aushub des neuen Kanals zu verfüllen, ist zum Scheitern verurteilt.

Das massive Hindernis, die Agenda 2010 von Gerhard Schröder, samt den neuen Gesetzen zur Destabilisierung des Arbeitsmarktes, haben zwar die gewünschte, massive Welle über dem Hindernis entstehen lassen, und diese massive Welle speist auch den neuen Kanal, mit Exportüberschüssen einerseits, sowie Souveränitätsrechten Deutschlands andererseits, und flutet damit in den Mega-Strom EU, doch die Welle über dem Hindernis gräbt sich hinter dem Hindernis unermüdlich eine Vertiefung, in die der dicke Brocken eines Tages hineingespült werden wird. Zudem zwingt das Hindernis die Masse der Mitte an die Ränder, dort weitet der Strom nun sein Bett aus. Trotz der neuerlichen Bildung einer großen Koalition hat die Mitte Mühe, Mehrheiten zu finden, zu weit werden die Zielsetzungen und Wertvorstellungen auch innerhalb der großen Parteien aufgespreizt. Letztlich weiß jeder, dass das nicht mehr das Deutschland ist, auf das er einst stolz sein konnte. Opportunisten springen mutig in das Bett des neu gegrabenen Kanals und erhoffen sich dort ihr Heil. Doch die Masse folgt ihnen nicht. Die Masse rüttelt an den Spundwänden, die Schröder ins Steilufer hat rammen lassen, und sie werden fallen, zur politischen Episode werden, über die kluge Historiker in hundert Jahren schreiben werden, es war ein Irrtum, zu glauben, man könne ein gebildetes, produktives und selbstbewusstes Volk in relativem Wohlstand mit ein paar Gesetzen in ein dummes, lenkbares – aber immer noch produktives Volk in Armut verwandeln.

Weil das Hindernis in die Mitte des Flusses geworfen wurde, dort wo in der Tiefe die Arbeit vollbracht wird, den Weg frei zu halten, hat es die Mitte zwar geschwächt, dafür aber die Ränder stark gemacht – und hinter dem Hindernis vereint sich bereits eine neue Mitte mit den starken Rändern.

Themen der Linken werden – wenn auch unter eigenem Namen – von den großen Parteien aufgegriffen, Themen der Rechten bewegen die Stimmenfänger in allen großen Lagern, sich näher an den Rändern zu profilieren. Nationale Interessen treten auf der europäischen Bühne wieder in den Vordergrund, nicht zuletzt auch deswegen, weil dies in allen anderen Mitgliedsstaaten ebenfalls zu beobachten ist, in einigen sogar deutlich stärker. Gleichzeitig werden, noch behutsam, aber wirksam, die Einschnitte in das soziale Netz zurückgenommen. Die abschlagsfreie Rente mit 63, die Mütterrente, der Verzicht auf die Praxisgebühr, das alles sind scheinbar nur kleine Schritte, doch auch der höchste und immer noch stabil wirkende Deich ist verloren, wenn an seinem Fuß die ersten größeren Rinnsale erscheinen.

Der Ruf nach Sandsäcken, der von interessierter Seite immer lauter ausgestoßen wird, verhallt unerhört. Die Regierung weiß, dass der Damm brechen wird und investiert nicht mehr in Rettungsmaßnahmen, sie versucht, mit Entlastungsgräben und Pumpen die Überflutung des trockengelegten Landes aufzuhalten, doch diese Gräben werden schneller volllaufen, als gebuddelt werden kann.

Vor der zusammenfasssenden Gesamtschau des Fluss-Gleichnisses ist allerdings noch ein drittes Bild zu betrachten. 

Die Flussschiffer

Sie beherrschen den Strom nicht, doch sie ziehen ihren Nutzen daraus, lassen sich von ihm tragen und treiben – und arbeiten sich immer wieder auch gegen den Strom in Richtung der Quellen. Der Strom trägt sie in der Regel gelassen, es macht ihm nichts aus, solange sie nicht daran gehen, ihn zu ihrem Vorteil nachteilig zu verändern.

Hier ist noch einmal darauf hinzuweisen, dass der Unterschied zwischen Mensch und Natur ein Unterschied ist, den nur wir Menschen kennen. Wir unterscheiden – aus Gründen der Zweckmäßigkeit ja auch zwischen Prekariat und Elite – statt uns wenigstens die Menschheit als in Recht und Freiheit gleich und daher als einige Einigkeit vorzustellen.

Der Flussschiffer dieses Bildes ist ein Teil der „Flussgesellschaft“ – und, der Hinweis sei erlaubt – auch er besteht ganz überwiegend aus Wasser.

Ein Fluss bringt Flussschiffer hervor, doch Schiffer können niemals einen Fluss hervorbringen. Ein Fluss bringt ja auch eine artenreiche Gesellschaft von Flora und Fauna hervor, die sich sowohl  in ihm als auch noch in einiger Entfernung vom Fluss den Lebensraum zur Verfügung stellen lässt, doch weder ein Fischlein, noch eine Wasserpflanze können ein Fluss hervorbringen.

Betrachten wir den Lebensraum Fluss neutral, dann können die „Emporkömmlinge“, die sich als Flussschiffer betätigen, in uns weder Neid noch Argwohn hervorrufen. Es gibt sie. Sie gehören dazu. Am Fluss selbst würde sich ohne Flussschiffer nichts ändern. Ob es sich dabei nun um Künstler handelt, die von der Masse getragen werden, oder um Spitzensportler, ob es Politiker sind oder Unternehmer, manche einfach auch nur „Erben“, sie alle gehören dazu – und sie alle werden eines Tages am Ende ihres persönlichen Lebens im gleichen Meer aufgehen, wie wir alle.

Nicht zuletzt ist es „die Masse“ die sie, teils freiwillig, teils durch Gesetze und Verordnungen, erst zu den Mitteln und Möglichkeiten kommen lässt, die sie dann ausnutzen. Dass dies nur zum Teil freiwillig geschieht, weil wir zum Teil durch Gesetze und Verordnungen dazu gezwungen werden, mit unserem Geld das zu bezahlen, was sie anbieten, ist ein vordergründiges Argument. Es gibt kein Gesetz, dessen Auswirkungen die Masse nicht in irgendeiner Weise spürt. Die Masse muss die Ursache weder erkennen noch die Wirkung konkret beschreiben können, es reicht, dass das Bauchgefühl der Masse sich meldet und verkündet: Es ist etwas faul. Die anschließende Entscheidung, dies zu ertragen oder dagegen aufzubegehren und eine Änderung zu erzwingen, wird allerdings immer erst dann wirksam, wenn die nächste scharfe Kehre wieder einmal die räsonierenden Ränder als Speerspitze der Masse an die Uferbegrenzung drückt. Mag sein, dass dabei sogar Hindernisse für die Flussschiffer entstehen, Untiefen, Katarakte, Wasserfälle, an denen sie erst einmal hängen bleiben. Bis zu dieser Wende gilt jedoch grundsätzlich: Es ist die Masse, die den Emporkömmlingen erst den Auftrieb gibt.

Und, auch das ist eine gültige Erkenntnis: Je mehr Flussschiffer unterwegs sind, und je größer ihre Kähne sind, desto mehr Wasser verdrängen sie – und lassen damit den Wasserstand an den Ufern, an den Rändern der Gesellschaft steigen, und je schneller sie unterwegs sind, desto höher schlagen die Wellen an die Uferbefestigungen – und da, wo es Engstellen und Kehren gibt, wird das auch wieder Veränderungen auslösen.

Der relativ neue und – zumindest für die Öffentlichkeit – recht intensiv geführte Krieg gegen die Steuerhinterziehung ist nicht nur der Versuch der Finanzminister mehr Geld einzufahren, es ist vor allem der Versuch, Wasserverdrängung und Geschwindigkeit der großen Flussschiffer in Grenzen zu halten, damit an den Rändern wieder Ruhe einkehrt und die Gesellschaft nicht aus den Fugen gerät.Wir beobachten also auch hier zwischen zwei revolutionären Wendungen eine Vielzahl eher kleiner und unscheinbarer Pendelbewegungen, die den Fluss im Bett halten.

Nichts anderes will der Fluss nämlich: In aller Ruhe ungestört fließen.

Alles ist im Fluss.

Das ist die Überschrift dieses Kapitels. Dass sich in einem Fluss immer neues Wasser an den immer gleichen Hindernissen abarbeitet, ist eine Erkenntnis aus dem vorher Dargelegten. Dass diese Hindernisse früher oder später dem Willen des Wassers weichen müssen, ist eine wohltuende Erkenntnis. Dass die „Masse“ – mit und ohne Demokratie – letztlich bestimmt, wo die Reise hingeht, ist für die Ränder der Gesellschaft sicherlich so lange deprimierend, bis eben diese Masse sich dafür entscheidet, eine Randgruppe zur Speerspitze der Veränderung zu machen.

Auslöser für solche Veränderungen können im natürlichen Ablauf des Weltgeschehens liegen, sie können aber auch in willkürlichen Veränderungen begründet sein, die von „Zauberlehrlingen“ herbeigeführt werden, ohne die der Masse innewohnende Trägheit und deren Kraft dabei zu beachten.

Ihre „Erfolge“ sind kurzlebig, denn jeder Druck erzeugt Gegendruck – und ein Fließgewässer baut den Druck immer wieder neu auf, während ein statisches Hindernis, dem keine eigene Kraft innewohnt, diesem Druck früher oder später weichen muss.

Dass dabei immer wieder „Flussschiffer“ in Erscheinung treten, die sich von der Masse tragen lassen, gehört zu den Naturgesetzen, wie das Auftreten von Pantoffeltierchen in einem Heuaufguss. Erst wenn sie den Fluss überlasten, wird der Fluss sich gegen sie stellen.

Aus alledem lässt sich die Hypothese ableiten, dass notwendige Veränderungen dann eine Chance auf Realisierung haben, wenn eine hinreichend große und scharfe Wende auftritt.

Regierungen, die Veränderungen scheuen, werden von sich aus nichts tun, was als eine scharfe Wende aufgefasst werden könnte. Sie werden alles unterlassen, was die Masse an die Ränder drücken könnte – und dienen damit, aus eigenem, egoistischen Interesse, durchaus wieder der großen Masse der Gesellschaft, die ja gar nicht revoltieren will, solange alles im Fluss ist. Als Helmut Kohl Kanzler war, nannte man das „Aussitzen“.

Regierungen, die sich radikale Veränderungen zum Ziel setzen, werden diese zwar ins Werk setzen können, sie aber niemals für lange Zeit aufrecht halten können. Der Fluss wird sie wieder wegspülen – und die dafür gerüsteten Randgruppen hält er stets bereit, auch wenn er sie nur selten zum Einsatz bringen muss.

 

Die Hemmnisse 

Nach dem Lesen der letzten Sätze taucht fast zwangsläufig die Frage auf: „Wenn dem so wäre, warum ist es dann nicht längst geschehen?“

Die Antwort darauf ist eine brutale, schmerzhafte Wahrheit, der sich kaum noch jemand zu stellen bereit ist, und die Tatsache, dass kaum noch jemand bereit ist, sich brutalen und schmerzhaften Wahrheiten zu stellen, ist zugleich die Antwort.

Diese „kryptische“ Zusammenfassung alleine hilft jedoch nicht weiter. Es gilt, jede offene Wunde einzeln und der Reihe nach zu behandeln, um den ganzen Umfang der Defekte unserer Gesellschaft erkennen zu können. Zum Trost sei gesagt: Diese Defekte sind keine „genetisch bedingten“ Defekte, es sind Defekte, Verletzungen, Wunden und Amputationen, die dieser Gesellschaft nach und nach zugefügt wurden, bis sie im heutigen Zustand soweit gekommen ist, dass sie nicht einmal mehr die Kraft findet, wenigstens mit großer Mehrheit noch bei Wahlen ihre Stimme abzugeben.

Zunächst soll noch einmal in Erinnerung gerufen werden, dass jegliches Staatswesen schon vom Ansatz her das Ziel haben muss, durch die „Bewirtschaftung des Volkes“ die Existenz des politischen Systems, durch das der Staat erst zum Staat wird, zu sichern. Es soll auch in Erinnerung gerufen werden, dass das politische System zur effektiven Bewirtschaftung des Volkes auf das wirtschaftende System angewiesen ist – und umgekehrt, das wirtschaftende System auf das politische System.

Die optimale Volksbewirtschaftung, die also die Existenz beider Systeme bestmöglich sichert, braucht dazu ein Volk, das die notwendigen Fähigkeiten und Kenntnisse mitbringt, die eine prosperierende Wirtschaft benötigt, das aber zugleich nur über möglichst geringe Kenntnisse des Systems verfügt, in dem es „gehalten“ wird, also weder eine theoretische Möglichkeit hat, dieses System zu hinterfragen – und, sollte dies doch gelingen – auf keinen Fall einen Ansatzpunkt erkennen kann, von dem aus das System wirkungsvoll verändert werden könnte.

Um einen solchen Zustand herzustellen, bedient man sich überall der gleichen Instrumente:

  • Schul- und Bildungswesen
  • Geschichtsverfälschung
  • Unterhaltung und Zerstreuung
  • Desinformation
  • Repression
  • Demontage gemeinsamer Werte

 

Schul- und Bildungswesen

Kinder und Jugendliche schon im Vorschulalter zu formen und bis ins Erwachsenenalter vom eigenen Denken fernzuhalten, das nennt man „staatliche Indoktrination“. Dass das Schul- und Bildungswesen hierzulande in starkem Maße dazu benutzt wird, subtile Ängste zu erzeugen und das Selbstwertgefühl zu schwächen, wurde bereits angesprochen. Dass es in einem immer stärkeren Maße durch „Einsparungen“, sowohl bei der materiellen Ausstattung als auch beim Lehrpersonal geschwächt wird, um die so genannten „bildungsfernen Schichten“ auch weiter von der Bildung fern zu halten, das kann, wenn auch in harmloseren Formulierungen, in jeder PISA-Studie nachgelesen werden.

Dass die Lehrpläne immer weiter auf jene Inhalte eingedampft werden, die zur berufsspezifischen Qualifikation benötigt werden, entspricht voll den Forderungen der Wirtschaft – und ebenso entspricht es den Wunschvorstellungen der Volksbewirtschafter, dass das eigene Denken weder geschult noch gefördert wird. Im Gegenteil, es wird sanktioniert.

Gymnasiasten, kurz vor dem Abitur, aber auch Studenten, die Mühe haben, in der Regelstudienzeit ihre „Scheine“ zu machen, sind zu kritischen Gesprächen und Diskussionen in der Regel nicht bereit. Die einen, weil sie meinen, schon alles besser und richtiger zu wissen, die anderen, weil sie einfach viel zu wenig wissen, um darauf überhaupt eine sinnvolle Diskussion aufbauen zu können. Gelingt es dennoch einmal, einen solchen jungen Menschen mit geduldig vorgetragenen Fakten  und Argumenten zum Nachdenken zu bewegen, endet ein solches Gespräch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit den Worten: „Ja, das ist ja alles schön und gut, aber mein Lehrer / Professor will von mir genau das hören/lesen, was dazu in den Büchern steht, bzw. in der Vorlesung vorgetragen wurde. Wenn ich da mit anderen Ideen ankomme, kostet mich das nur Punkte.“

Also gehen junge Menschen ins Berufsleben, die daran glauben, dass die Gewaltenteilung funktioniert, dass die Parteien die Willensbildung des Volkes unterstützen, dass ein Amtseid so bindend ist, wie der Eid eines Zeugen vor Gericht; junge Menschen, die daran glauben, dass es ein großes unternehmerisches Risiko gibt, das den Groß-Aktionär berechtigt, zum Ausgleich seine Dividende einzustecken und dass die Kurse an der Börse den Ertragswert eines Unternehmens widerspiegeln; junge Menschen, die glauben, dass ihre Chefs ihre Fähigkeiten würdigen werden, dass, wer Arbeit sucht, auch Arbeit findet, dass man von Hartz-IV gut leben kann, dass die Alten auf Kosten der Jungen leben und dass Freiheit besser ist als Sozialismus.

Und das sind noch diejenigen, die nicht vollkommen desillusioniert und resigniert aus der Schule kommen, um sich vor dem Job Center in die Schlange zu stellen und mit der Einweisung zu einem dreimonatigen unbezahlten Praktikum wieder herauskommen. Denn auch das ist eine der Aufgaben des Schul- und Bildungswesens: Frühzeitig zu sortieren und nur so viele mit der erforderlichen Bildung auszustatten, wie benötigt werden, um das Staatswesen am Laufen zu halten.

Technik und Rationalisierung haben ihren Teil dazu beigetragen, dass die Zahl derjenigen, die wirklich benötigt werden, geschrumpft ist – und der Umbau des Landes in einen großen Niedriglohnsektor hat noch einmal viele überflüssig gemacht. Denn: Das, was nicht konsumiert werden kann, braucht auch nicht produziert zu werden.

Hartz-IV, als ein System der sich selbstvermehrenden Armut zu verstehen, fällt nicht schwer, wenn man sich damit auseinandersetzt.  Ein Grund mehr, in Schule und Studium darauf zu achten, kritische Geister frühzeitig zu erkennen und mit schlechten Noten zu disziplinieren!

 

Geschichtsverfälschung

Geschichtsverfälschung ist ein weiteres, zweckmäßiges Instrument, um die Gesellschaft insgesamt in der gewünschten Bahn zu halten. Man muss gar nicht weit in die Vergangenheit gehen, um Beispiele zu finden, die so krass sind, dass man sich am liebsten übergeben möchte, doch gelingt es, vor allem mit Hilfe der Massenmedien, praktisch von einem Tag auf den anderen, alte Interpretationen durch neue zu ersetzen und damit eine veränderte Handlungsweise oder völlig neue Aktivitäten zu begründen. Wobei die wirksamste und am häufigsten angewandte Form der Geschichtsverfälschung darin besteht, Geschichte und geschichtliche Erfahrungen einfach auszublenden und totzuschweigen.

Geschichtsverfälschung, vor unseren Augen geschehen, waren zum Beispiel alle Anstrengungen, den im Grundgesetz verankerten Verteidigungsauftrag der Bundeswehr vergessen zu machen, sie in eine Interventionsarmee umzubauen und zugleich die Wehrpflicht abzuschaffen, was hervorragend zu der Entscheidung passt, den Einsatz der Streitkräfte auch im Inneren zuzulassen.

Bittere geschichtliche Erkenntnisse, die die so genannten „Väter des Grundgesetzes“ veranlassten, militärische Gelüste späterer Regierungen durch klar gesetzte Grenzen zu beschneiden, auch – durch die Wehrpflichtarmee – zu verhindern, dass es zu einem repressiven Einsatz im Inneren kommen kann, weil Söhne eben nicht so leicht dazu zu bewegen sind, auf ihre Eltern zu schießen, dass alles wurde weggewischt, mit der geschichtsvergessenen und geschichtsvergessen machenden Bemerkung des damaligen Verteidigungsministers Struck: „Die Bundesrepublik Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt“.

Auch das, was heute „Energiewende“ genannt wird, trägt die CDU-Vorsitzende als leuchtendes Banner vor sich her, während diejenigen, die sich um eine wirkliche Energiewende mühten, die in jahrelangen Aufklärungskampagnen endlich der Solarenergie in Deutschland eine Tür aufgestoßen haben, um die Energieversorgung zu dezentralisieren, heute als Sündenböcke für die von Industrie und politischem System gezielt in die Höhe getriebenen Strompreise herhalten müssen. Doch damit nicht genug, der eigentlichen Energiewende wurde eiskalt der Lebensnerv abgeklemmt und stattdessen den alten Oligopolen der Weg für ihre Offshore-Windkraftanlagen geebnet, samt Milliarden-Investitionen in im Grunde überflüssige Stromtrassen.

Die gesetzliche Rente wurde mit Hilfe von Regierung und regierungstreuen Experten schlecht geredet und unsinnig gekürzt, um der Finanzindustrie eine neue Einnahmequelle zu erschließen, den Arbeitgeberanteil niedrig zu halten und zugleich Kaufkraft aus den Märkten der Realwirtschaft zu entziehen. Auch das wird, wie die unzähligen Reformen der Krankenversicherung als alternativlos dargestellt und irgendwann in Hochglanzbroschüren zum X-ten Jahrestag von Riester-Rente und Zuzahlungsregelung als soziale Großtat gefeiert werden – und das schon von der Gegenwart geistig ausgefüllte und überforderte Volk wird glauben, ohne alle diese großartigen Maßnahmen, sei nicht nur die Republik längst von den Taliban besetzt, sondern auch der Strompreis noch höher und das System der sozialen Sicherheit zusammengebrochen.

Sieger schreiben die Geschichtsbücher. Und Sieger ist nicht nur, wer ein Volk militärisch besiegt und besetzt hat, Sieger ist auch, wer ein Volk nach Belieben auszubeuten vermag, ohne dass sich dagegen ernstzunehmender Widerstand regt.

Nach Schröder und der Agenda 2010 – und ihrer lückenlosen Fortsetzung durch Angela Merkel, genügt ein ungetrübter Blick auf unser Land, um zweifelsfrei festzustellen: Wir sind besiegt worden – und zwar von der eigenen Regierung. 

Unterhaltung und Zerstreuung

Wer zu viel freie Zeit hat, kommt leicht auf dumme Ideen, und unter den dummen Ideen die schlimmstmögliche, ist die Idee, nachdenken und verstehen zu wollen. Diese Idee könnte zu Erkenntnissen führen, Erkenntnisse zu Taten – und nichts ist weniger gewünscht, als Taten, die zwangsläufig Erkenntnissen folgen. Also sorgt ein 24-Stunden Televisionsterror auf hunderten von Kanälen dafür, dass statt anstrengendem Nachdenken seichtes Unterhaltenwerden die Zeit derjenigen Menschen ausfüllt, die noch Zeit zum Denken  und auch allen Grund dafür hätten.

Auch inhaltsleererer Austausch mit Facebook-Freunden über banalste Banalitäten raubt weitere kostbare Lebenszeit und gibt den Datenkraken jede Menge Futter, die sich in individualisierter Werbung auf den Bildschirmen der Nutzer und in ausgefeilten Dossiers in den Datenbanken der Überwacher wiederfinden.

Brot und Spiele, meinten die alten Römer, würden genügen, um das Volk ruhig zu halten. Gerhard Schröder meinte, um zu regieren, genügten ihm BILD, BamS und Glotze. Inzwischen bewegen sich auch ehedem seriöse Zeitungen und Magazine voll auf Bildzeitungsniveau, wenn auch mit erweitertem Sprachschatz und gelegentlich diffizilerer Argumentation – doch immer und stets in der erkennbaren Absicht, das herrschende politische und wirtschaftliche System als das darzustellen, was es nicht ist, nämlich fehlerfrei  und alternativlos.

Alle paar Monate schafft es das öffentlich-rechtliche Fernsehen noch, eine Alibi-Dokumentation ins Spätabendprogramm zu heben, oder einen modernen Hofnarren in Sendungen wie „Die Anstalt“ ungestraft Wahrheiten im Kostüm des politischen Witzes erzählen zu lassen. Das wiederum ist einerseits wichtig, um bei denen, die auf solche Sendungen abonniert sind, das Gefühl aufkommen zu lassen, sie seien mit ihren Gedanken nicht alleine, was einen Großteil aber zugleich davon entbindet, sich selbst – im eigenen Umfeld – die Bühne zu suchen, auf der er seine Meinung vertritt. Da kümmern sich ja schon andere, bessere darum – und wenn die Politik schon darauf nicht reagiert, wie soll sie dann auf mich, das kleine Licht reagieren?

Noch eine Errungenschaft des Internet-Zeitalters ist mehr Beschäftigungstherapie und Beruhigungspille als ein wirksames Mittel, Veränderungen zu initiieren: Die Online-Petition.

Ob  nun diejenigen, die direkt beim Petitions-Ausschuss des Deutschen Bundestages ankommen könnten, oder die vielen anderen, privaten Unterschriftensammlungen für alle möglichen und unmöglichen Zwecke, alle geben dem Bürger das Gefühl, für etwas eingetreten zu sein – und selbst nichts mehr tun zu müssen. Das Schicksal von jährlich vielen Millionen Unterschriften dieser Art ist der Papierkorb. Aber durch die eigene Teilnahme hat man getan, was man tun konnte – und darf ruhigen Gewissens wieder weiterschlafen.

Petitionen sind so eine Art Lotto ohne Einsatz. Man spielt mit, freut sich, wenn eine bestimmte Anzahl von Unterschriften erreicht ist, und rechnet sowieso nicht damit, irgendwann einmal einen Haupttreffer zu landen.

Desinformation

Desinformation ist eine Profession, die hochbezahlten Spin-Doktoren ein luxuriöses Leben ermöglicht. Nichts, was geschieht, geschieht zufällig. Alles ist geplant und wird nach einem geheimen Drehbuch abgearbeitet.

Der Aufstieg und Fall des vielvornamigen Herrn von und zu Guttenberg ist ein Paradebeispiel dafür. Ein Operettenprinz wurde gesucht und gefunden, von der Presse in den Himmel und ins Wirtschafts- und Verteidigungsministerium geschrieben. Da war plötzlich frischer Wind zu spüren – und das geschniegelte und gegelte Äußere machte Eindruck auf Wählerinnen und auf Wähler. Was zu Guttenberg machte, das war gut, weil es zu Guttenberg machte. Es brauchte keine weitere Begründung für eine große Bundeswehrreform, die aus der Verteidigungsarmee eine Interventionsarmee schmiedete und es brauchte keine Begründung für die Aussetzung der Wehrpflicht, außer der, dass zu Guttenberg es für gut und richtig hielt.

Als das vollbracht war, musste er abtreten. Mitten in der gerade begonnenen Arbeit, denn wie das Ziel aussah, das hatten andere längst vorher beschlossen, und dass von und zu Guttenberg da niemals hinkommen würde, war auch vorher schon allen klar. Er stolperte folgerichtig über eine Doktorarbeit, die er unter seinem Namen abgegeben hatte. Wer glaubt, hier sei jemandem ein Zufallsfund zum Schicksal geworden, hat unser Schulsystem mit gutem Erfolg durchlaufen.

Zu den vorhin erwähnten Spätabend-Dokumentationen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens gehört auch ein Lehrstück über Planung, Vorbereitung und Durchführung der Revolution in Rumänien. Jahre nach Sturz und Hinrichtung Ceausescus erstmals gezeigt, ist das ein Film, der jedem denkenden Menschen jeden Glauben an jedes Wort nimmt, das jemals von Politikern öffentlich gesprochen wird.

Die einzige Notwehrmaßnahme gegen Desinformation ist die hartnäckige Frage: „Wem nützt es?“.

Es wird sich nie eine Antwort finden lassen, die lautet: „Der Hauptnutzen kommt der Bevölkerung zugute“.

Wer dies annimmt, hat noch nicht intensiv genug nachgefragt. Wer dies annimmt, hat die Argumente noch nicht hinreichend überprüft.

Lügengespinste der professionellen Desinformatoren sind feinmaschig gewebt – und längst nicht alle Diskutanten in Foren und auf Blogs sind ehrliche Wahrheitssucher. Auch hier sind bezahlte Lohnschreiber in Scharen unterwegs, um Verwirrung zu stiften und der Desinformation zum Sieg zu verhelfen. Der Rest wird als „Verschwörungstheoretiker“ in die Ecke gestellt oder mit der Nazi-Keule verprügelt.

Und weil ein guter Deutscher mehr Angst hat, als Nazi angesehen zu werden, als Vaterlandsliebe, sich also im Gegensatz zu Franzosen, Italienern, Spaniern oder Griechen nur dann wagt, sich für nationale Interessen einzusetzen, wenn er vorher seitenlange Entschuldigungen und Erläuterungen vorgetragen hat, von denen er vorher weiß, dass sie ihm niemand abnehmen wird, der sie ihm nicht abnehmen will, ist es der Desinformation unter anderem auch gelungen, ein nationales Zusammengehörigkeitsgefühl soweit ins Unrecht zu setzen, dass es nur noch bei Fußball- und Exportweltmeisterschaften hervorgeholt werden darf.

 

Repression 

Repression ist vielgestaltig. War es einst Geßlers Hut, der von jedermann im Vorbeigehen zu grüßen war, sind es heute – in der Breite wirksam und kaum als Repression wahrgenommen – eine Unzahl von kleinen Eingriffen in das Leben der Bürger. Allen voran die unsinnige Sommerzeit. Dass sie dem vorgeblichen Zweck, nämlich Energie zu sparen, in keiner Weise dient, bestreitet heute kaum noch ein ernstzunehmender Wissenschaftler. Dass sich der Tagesrhythmus der Menschheit um den Höchststand der Sonne, mittags um 12.00 Uhr, seit Urzeiten eingespielt hat, lag nicht daran, dass dies mit Erfindung der Uhr so beschlossen und nie hinterfragt wurde. Es lag schlicht daran, dass es so, genau so und nicht anders „richtig und natürlich“ war und ist. Nun werden wir, weil es das politische System so will, eine Stunde früher aus dem Bett getrieben und abends fehlt uns im Sommer eine Stunde Schlaf, weil der laue Sommerabend nämlich eine Stunde zu spät beginnt, angenehm zu sein.

Das Verbot von Glühlampen, ebenfalls zum Zwecke der Energieersparnis, war nichts als eine verkappte Repression, ein Geßlerscher Hut, der uns Tonnen von Quecksilber auf die Deponien brachte, die nun allmählich ihren Weg ins Grundwasser suchen und finden.

Sprechen wir gar nicht von EU-Bananen und krümmungsfreien Gurken, sprechen wir lieber von den Patenten auf lebende Organismen, die unsere Ernährung Schritt für Schritt vom Wohlwollen der großen Agrar- und Chemiekonzerne abhängig machen. Und deren Wohlwollen, so man es überhaupt so nennen kann, das müssen wir alle an den Supermarktkassen teuer bezahlen und ihr Genfood fressen, weil es nur bedingt kennzeichnungspflichtig und unter den preiswerteren Lebensmitteln allgegenwärtig ist.

Wo sich dann aber wirklich Widerstand formiert, wo Bürger ihre Lebensqualität und ihre Heimat vor dem Zugriff des Kapitals verteidigen wollen, wo es zu Demonstrationen und Blockaden kommt, da ist die harte Repression nicht weit.

Ameisenarmeen, wie aus dem Krieg der Sterne, quellen aus Mannschaftsbussen, Wasserwerfer fahren auf, Schutzschilde, Knüppel, Pfefferspray und Tränengas kommen zum Einsatz und auf der Strecke bleibt das Demonstrationsrecht – und nach und nach jeder Gedanke, dass mit friedlichen Demonstrationen irgendetwas nachhaltig aufzuhalten wäre.

Die meisten resignieren, ein Häufchen unerschütterlicher demonstriert weiter und veranstaltet Mahnwachen, einige gehen in den Untergrund und tauchen von da meist nie wieder auf.

Demontage gemeinsamer Werte

Ein weiteres Instrument zur Desorientierung der Bevölkerung ist die Zerstörung hergebrachter Werte. Die Religion, die noch vor wenigen Jahrzehnten eine „feste Burg“ war, für jeden, der sich an Recht und Unrecht, Gut und Böse orientieren wollte, ist auf einen schwer zu fassenden Torso zusammengeschrumpft.

Gab es früher Gläubige und Atheisten, beide aus Überzeugung, so ist heute die Mehrzahl der Bürger so frei, allenfalls noch die kirchlichen Events (Taufe, Kommunion/Konfirmation, Hochzeit und Beerdigung) mitzunehmen, weil das schön emotional ist, sich ansonsten aber einen Dreck um die christliche Lehre zu scheren, weil es sich vollkommen „verantwortungslos“ halt sehr viel besser und egoistischer leben lässt.

Nur zur Klarstellung: Niemand muss an einen Gott glauben oder einer Kirche angehören. Doch niemand sollte sich so einfach, nur weil er seine „Gottesfurcht“ abgelegt, sich also emanzipiert hat, gleich verhalten wie die Wildsau im Wald. Leider geht der Trend exakt in diese Richtung. Jeder ist sich selbst der Nächste und gemeinsame Anschauungen davon, was nun in einer Gesellschaft gut und richtig und allseits erwünscht ist, und was nicht, die gibt es immer weniger.

Dazu gehört es auch, dass wir nicht mehr, wie früher, als wir begonnen haben, die Italiener, ihre Eisdielen und Pizzerien zu lieben, frei entscheiden können, welche Lebensart wir als eine Bereicherung empfinden und von welcher wir uns eher abwenden. Stattdessen herrscht die Pflicht der politischen Korrektheit, die verlangt, dass alle Sitten und Gebräuche, alle Religionen und ihre Riten, alle mittelalterlichen Vorstellungen von Recht, Gesetz und Strafe als multikulturelle Errungenschaft von jedem nicht nur toleriert, sondern auch akzeptiert werden müssen, will er sich nicht dem Vorwurf, der teils strafbewehrten Diskriminierung aussetzen.

Wir haben nicht nur im Bereich der  Sexualmoral jeden verbindlichen Rahmen verloren, auch wenn dies am offensichtlichsten ist, wir haben auch das Vorbild des ehrbaren Kaufmanns verloren. Wir haben – einst als Volk der Dichter und Denker angesehen – sehr viel von unserer Sprache und ihren Ausdrucksmöglichkeiten verloren. Wo, selbst in den großen Sendeanstalten von ARD und ZDF, findet sich noch ein Sprecher, der souverän den Genitiv zu gebrauchen wagt? Da sagt man doch lieber: „Die Geburtstagstorte von Peter …“, als „Peters Geburtstagstorte“ – und wenn es doch  einmal zum Genitiv reicht, dann nur bis zur Hälfte. Statt „der Fahrer des Pkws“ heißt es da „der Fahrer des Pkw“, usw.

Warum? Wahrscheinlich, weil es eine interne Anweisung gibt, um der Verständlichkeit willen auf den Genitiv zu verzichten, wo immer es geht. Oder, wie andere annehmen, weil der Genitiv „besitzanzeigend“ ist – und es nicht jedem recht ist, wenn sein Besitz schon an der grammatikalischen Form zu erkennen ist …

Die Kindheit, die behütete, ja – eine noch gar nicht so alte Erfindung – ist längst wieder kassiert. Wer Kinder zuhause erziehen will, wird als herdprämiengeil gebrandmarkt und soll lieber das Geld für die KiTa mit einer Halbtagsarbeit an der Kasse beim Discounter verdienen, statt seinem Kind die Bildungschancen zu nehmen, die ihm nur in der KiTa geboten werden können.

Selbst der Tod, das Sterben, die würdige Beendigung des Lebens stellen keinen Wert mehr dar, der gegen den Behandlungswillen der Intensivmediziner noch Gewicht hätte. Nur wer eine wahrlich ausgeklügelte und vollständige Patientenverfügung vorweisen kann, hat eventuell eine Chance, nicht dem Hippokratischen Eid und der Intensivmedizin zum Opfer zu fallen.

Geboren wird im Krankenhaus, weil die Hebammen wirtschaftlich erledigt wurden, und gestorben wird im Krankenhaus, weil die medizinische Versorgung bis zum letzten Atemzug, auch wenn es sich nur um eine tage- oder wochenlange Leidensverlängerung handelt, einfach die „schönere“ Lösung ist.

Wo stehen heute noch Kinder und Enkel um das Sterbebett des Großvaters? Viele Familien leben weit verstreut im Lande, weil es die „Mobilität“ verlangt – und die Kunde vom Tode, die kommt vom Krankenhaus meist erst, wenn der Patient am Morgen nicht mehr aufwachen kann.

Natürlich hat die Medizin große Fortschritte gemacht. Doch einige davon schießen weit übers Ziel hinaus, und das sind beileibe nicht nur die vielen ebenso kostspieligen wie überflüssigen CT-Aufnahmen.

Wo Organe mit zweifelhaften Hirntod-Diagnosen entnommen und dann Empfängern mit zweifelhaften Diagnosen gegen Entgelt eingepflanzt werden, während andere, die sie dringender benötigen, weiter warten dürfen, da hat sich auch im Gesundheitswesen ein Geist breit gemacht, der besser in der Flasche eingesperrt geblieben wäre.

Die großen Fragen  

Wo soll also der Mut herkommen, die Gesellschaft zum Positiven zu verändern, wenn die gemeinsamen Werte ebenso immer weniger werden, wie diejenigen, die als Mahner in der Wüste des selbständigen Denkens noch nicht vollkommen entwöhnt sind?

Woher soll noch Orientierung kommen, wenn die offizielle Vorgabe heißt: Es ist alles gleich – und die Wahrnehmung von Unterschieden, so sie denn ausgesprochen wird, schon als Diskriminierung verpönt ist?

Wie soll das Feuer der Leidenschaft entfacht werden, das es braucht, um die Idee der Freiheit in den Köpfen neu zu beleben, wenn ein ausgeklügelter Repressionsapparat jede Regung im Keim erstickt und die Medien sich zur Kumpanei mit jenen verpflichtet fühlen, die Desinformation streuen, statt wahrhaftig aufzuklären?

Was kann es noch bewirken, die Käfigstäbe des eigenen Staates aufzubiegen, wenn dieser längst im größeren und stabileren Käfig „EU“ eingeschlossen ist?

Ringsum in der Welt gärt es, finden mächtige Demonstrationen und Revolutionen statt. Warum finden wir nicht die Kraft dazu? Die Antwort ist bedrückend:

 

Revolutionen finden heute nur noch da statt, wo eine amtierende Regierung den Interessen der USA im Wege ist.

Das trifft auf Deutschland allerdings nicht zu. Hier wird keine Oppositionspartei mit Unterstützung der CIA aufgepäppelt, mit Geld, Öffentlichkeitsarbeit und Waffen unterstützt. Deutschland funktioniert schon, wie es funktionieren soll.