Es ist etwas oberfaul

 

Reichtum kann nicht dadurch entstehen, dass man Hungerlöhne zahlt und Wucherpreise verlangt.

 Die ganze Sache mit der Produktion und dem Konsum, mit Löhnen und Preisen, auch mit Inflation und Fiat Money geht hinten und vorne nicht auf.

Wer die Welt in zwei Lager teilt und auf der einen Seite die Reichen, das Kapital, die Arbeitgeber ansiedelt und auf der anderen Seite die Arbeitnehmer und Konsumenten, muss feststellen, dass der Versuch der Reichen, dadurch noch reicher zu werden, dass sie die Arbeit billig einkaufen und die Produkte teuer verkaufen, schlicht und einfach nicht funktionieren kann.

Wenn als Kaufkraft nur jene Geldmenge zur Verfügung steht, die von den Arbeitgebern in Form von Löhnen in den Markt eingebracht wurde, ist es vollkommen ausgeschlossen, die Produktion mit Gewinn zu verkaufen. Schließlich gilt: Gewinn = Umsatz minus Kosten

Das erzähle ich nun schon seit fast zwanzig Jahren und während dieser zwanzig Jahre sind die Reichen reicher geworden, obwohl – und weil – die Armen ärmer geworden sind, was nicht gerade als Beweis für meine These gelten kann.

Doch gibt es sicherlich unter meinen Lesern einige, die sich daran erinnern, dass ich auch stets von drei Möglichkeiten gesprochen habe, den Geldmangel auf der Konsumentenseite zu beheben, nämlich den Export, also das Anzapfen eines anderen Wirtschaftsraumes, die Neuverschuldung, also das Anzapfen der Zukunft, sowie das Entsparen und den Verkauf von Sachwerten, also das Anzapfen des vorhandenen Vermögens.

Doch das Potential dieser Möglichkeiten, Liquidität zu generieren, ist begrenzt. Export darf  nicht durch  Import kompensiert werden, sondern „Exportüberschuss“ sein, um wirksam zu werden. Exportüberschuss führt jedoch zwangsläufig zur Verschuldung der Außenhandelspartner und stößt damit ebenfalls an die Grenze der Neuverschuldung, die als „Überschuldung“ in Erscheinung tritt und die Kreditwürdigkeit des Schuldners zerstört. Das Anzapfen von Geld- und Sachvermögen endet spätestens, wenn das positive Vermögen aufgezehrt ist.

Sobald allerdings sämtliche Sachwerte auf der Seite der Reichen, des Kapitals, der Arbeitgeber versammelt sind, wird das Wirtschaften nach kapitalistischen Prinzipien sinnlos. Es stellt sich spätestens dann heraus, dass ein Wirtschaften, dessen einziger Effekt für den Unternehmer darin besteht, noch Geld anzuhäufen, sinnlos ist, weil es nichts mehr gibt, was noch mit Geld zu erwerben wäre.

 

Jüngst wurde eine vollautomatische Paprikaschoten-Erntemaschine vorgestellt.

Angeblich handelt es sich dabei sogar um einen Roboter. Die Tschechen wissen, weil der Begriff ihrer Sprache entstammt, dass „Roboter“ zum Frondienst gezwungene Arbeiter sind.

Der Roboter erledigt also Arbeit. Damit trägt er ganz erheblich dazu bei, die schrecklichen Auswirkungen des Fachkräftemangels zu lindern. Je besser die Roboter werden, und je mehr davon eingesetzt werden können, desto weniger Fachkräftemangel wird es geben. Das ist gewiss, und wenn das Problem des Fachkräftemangels erst einmal vollständig gelöst ist, wird es auch kein Problem mehr sein, die Ernährung von 10 Milliarden Menschen zu sichern.

Darüber jedenfalls macht man sich bei den Unkrautvernichtungschemikern sehr viele Gedanken: Wie man bei beschränkter Anbaufläche, die zudem mit jedem zusätzlichen Menschen sogar eher noch ein bisschen schrumpft, beim Wachstum der Nahrungsmittelproduktion mit dem Bevölkerungswachstum Schritt halten soll. Nun, im Grunde ist ja so ein Ackergift auch ein Roboter. Es erledigt zuverlässig die Arbeit, den Acker von den Nahrungskonkurrenten der Nutzpflanzen frei zu halten. Ein Job, den man sonst unter Umständen mechanisch – also schlimmstenfalls mit der Hacke in der Hand von Fachkräften erledigen lassen müsste.

Natürlich ist der Einsatz von Robotern oder Agrochemie bei gleichem Ergebnis  billiger als der Einsatz von Menschen. Etwas korrekter ausgedrückt lautet die fürs Lehrbuch taugliche Aussage:

Rationalisierungsmaßnahmen haben die Senkung der Herstellkosten zum Ziel.

Im Umkehrschluss lässt sich daraus ableiten: Die Investition in einen Roboter, dessen Gesamtkosten (Anschaffung + Wartung + Energie) – über seine gesamte Nutzungszeit gesehen – höher sind als die Lohnkosten, die zur Erzielung der gleichen Leistung aufgebracht werden müssten, ist nicht rentabel.

Darf ich Sie einladen, an einem Gedankenexperiment teilzunehmen:

Stellen Sie sich eine Welt vor,  in der nur eine einzige Ware – nämlich die Paprikaschote – produziert, distributiert und konsumiert wird.

In dieser Welt werden selbstverständlich Löhne bezahlt an festangestellte Paprikapflanzer, teilzeitbeschäftigte Paprikagießer, Zeitarbeitskräfte, die den Paprikadünger ausbringen und polnische Saisonarbeiter, die die Paprikaernte einbringen, Paprikafachverkäuferinnen in Paprikasupermärkten wären auf 450 Euro-Basis beschäftigt und erhielten aufstockende Leistungen vom Amt. In dieser Welt werden selbstverständlich auf alle Löhne Steuern fällig und Beiträge für die Arbeitslosen- und die Rentenversicherung (Krankenkasse gibt es nicht, es  gibt ja in dieser Welt keinen Medizinbetrieb). An der Supermarktkasse wird die Mehrwertsteuer einbehalten, alles so, wie bekannt, sogar genauso gerecht oder ungerecht, egal.

Die Frage ist: Wie wirkt es sich auf diese Welt aus, wenn die Paprika-Ernte, die bisher von polnischen Saisonarbeitern eingebracht und mit fünf Euro pro 50 kg bezahlt wurde, in der nächsten Saison vollständig von Ernterobotern übernommen wird?

Nun, ist gar nicht so schwer zu beantworten, oder?

Der Export von Paprikaschoten nach Polen bricht zusammen, weil die polnischen Saisonarbeiter kein Geld mehr verdienen. Macht nix. Was gehen uns die Polen an.

 

Dummerweise bleiben jetzt doch einige unverkäufliche Paprikaschoten in den Märkten liegen und müssen über die Biomüll-Tonne entsorgt werden. Außerdem hat der Staat ein bisschen weniger Steuern eingenommen, was kleine Kürzungen bei den Renten erforderlich macht. Um im nächsten Jahr nicht wieder tonnenweise Paprikaschoten vernichten zu müssen, wird die Anbaufläche verkleinert.

ABER: Abgesehen davon, dass die Polen in dieser sonderbaren Paprikawelt nun zum Verhungern verurteilt sind, ist nichts Schlimmes zu beobachten.

 

Spinnen wir das Gedankenexperiment ein bisschen weiter. Stellen Sie sich vor, alle Paprika-Märkte werden auf Automatenbetrieb umgestellt. Sämtliche Kassiererinnen werden entlassen und melden sich arbeitslos.

Haben Sie die Auswirkungen dieser Maßnahme immer noch vollständig auf dem Schirm, oder wird das schon viel zu kompliziert?

Nehmen wir an, in dieser Welt sitzen verantwortliche, unbestechliche Politiker an den Schalthebeln der Macht und sind bestrebt, wirklich das Beste für das Volk zu tun. Dann wird man zuerst die Mehrwertsteuer soweit erhöhen, dass die Mehreinnahmen ausreichen, um den arbeitslosen Paprikaverkäuferinnen den Regelsatz auszahlen zu können, so dass diese nicht, wie die Polen, verhungern müssen, aber den Gürtel schon ein bisschen enger schnallen.

Außerdem müssen natürlich auch die Pflanzer, die Gießer und die Dünger jeweils ihre Gürtel enger schnallen, weil bei steigenden Preisen, wegen der Mehrwertsteuer-Erhöhung  und gleichbleibenden Löhnen, einfach weniger Paprika fürs Geld zu bekommen ist.

Unter dem Strich fällt auf, dass Paprikaschoten im Gegenwert der eingesparten Löhne der Verkäuferinnen am Ende als unverkäufliche Reste in die Tonne getreten werden müssen.

Natürlich könnte der Dachverband der Paprikawirtschaft beschließen,
die Ladenpreise für Paprika aller Sorten und Qualitätsklassen so weit zu senken,
dass trotz der vielen arbeitslosen Verkäuferinnen, die auf Hartz-IV angewiesen sind,
nd trotz des durch die Mehrwertsteuererhöhung ausgelösten Kaufkraftverlustes
alle Paprikaschoten verkauft und alle Bewohner dieser Welt
(Polen bleiben ausgenommen)
wieder satt werden könnten…

…  doch wofür hätte man dann rationalisiert?

 Der Staat, dessen Haushalt nun definitiv ins Defizit abgleitet, könnte sich zwar verschulden, die Überproduktion aufkaufen und an die Bedürftigen verteilen, ja sogar Hilfslieferungen nach Polen schicken, doch die Prognose weiter wachsender Ausgaben bei weiter sinkenden Steuereinnahmen für die nächsten Jahre lässt solch leichtfertigtes Tun zu Lasten der nachfolgenden Generationen einfach nicht zu.

Der Dachverband der Paprikawirtschaft kommt anlässlich seiner Jahreshauptversammlung zu der bitteren Erkenntnis, dass man zwar die Zeichen der Zeit erkannt und alles unternommen habe, um auch weiter als Rückgrat der Volkswirtschaft gute Geschäfte machen zu können, doch fehle es in letzter Zeit irgendwie an der Bereitschaft, Paprika zu konsumieren, so dass Umsatz und Ertrag leider, leider nun schon im zweiten Jahr rückläufig seien. Der Verband beschließt, eine polnische Werbeagentur mit der Einrichtung einer gemeinsamen Versuchsküche zu betrauen, die leckere Paprikagerichte kreieren wird und eine einmalige Werbekampagne mit diesen neuen Rezepten und viel guter Laune durchziehen soll, um wieder mehr Lust auf Paprika in die Welt zu bringen.

Klar, die Kosten der Werbekampagne wirken preistreibend. Tatsächlich steigt der Verkaufserlös, weil sich der Export nach Polen wieder belebt, andererseits bleiben die Verkaufserfolge in Deutschland mau, die höheren Preise sorgen für einen rückläufigen Mengenabsatz, so dass wieder viele Tonnen Paprika in die Tonne getreten werden müssen.

 

Alles auf Anfang! Weg mit dem technischen Fortschritt, weg mit den Robotern!

Quatsch! Das Problem wird nicht durch die Technik verursacht. Die hilft doch nur, einem Leben in Glück und Wohlstand immer näher zu kommen, ja irgendwie das Schlaraffenland noch erleben zu dürfen. Aber das stimmt so leider auch nicht. Die ganze Geschichte, wie Sie uns wieder und wieder erzählt wird, stimmt hinten und vorne nicht.

Es ist ja schon irre, wenn argumentiert wird, um die wachsende Menschheit versorgen zu können, müsse die Arbeit immer weiter automatisiert werden. Und zwar einesteils, um die Mengen bewältigen zu können, und andererseits, um die Preise attraktiv gestalten zu können.

Diese Gedanken entspringen einer rein betriebswirtschaftlichen Betrachtungsweise und folgen den Gesetzen des Wettbewerbs in einem vermeintlich unendlichen Markt. Dort wird derjenige Unternehmer, der mit den niedrigsten Kosten die nachgefragten Mengen zu konkurrenzlos niedrigen Preisen anbieten kann, den Wettbewerb gewinnen. Volkswirtschaftlich betrachtet muss allerdings die Kostenersparnis durch Rationalisierung höher ausfallen als die an den Markt weitergegebene Preissenkung. D.h., der Gewinn des Siegers im Wettbewerb in einem Marktsegment, hat im gesamten Wirtschaftsraum die Freistellung von Arbeitskräften und ein Absinken der Nachfrage zur Folge.

Dieser schleichende Prozess bleibt nahezu unsichtbar, solange es immer noch gelingt, neue Schuldner aufzutreiben, z.B. durch die Erweiterung der EU, solange es immer noch gelingt, neue Exportmärkte zu erschließen und solange es noch gelingt, Vermögen – und vor allem „Volksvermögen im Zuge der so genannten Privatisierung – zu liquidieren. Es ist wie der Sprung vom Dach des Hochhauses, der, je länger er dauert, die Gewissheit verstärkt, was so lange gutgegangen ist, könne gar nicht mehr schiefgehen.

 

Um die Problematik, die hier nur angerissen werden kann, vollends zu überblicken, braucht es sowohl das Wissen um die Gesetzmäßigkeiten und Strategien erfolgreichen, betriebswirtschaftlichen Handelns, die Erkenntnis, wie betriebswirtschaftliche Entscheidungen im Wettbewerb stehender Unternehmen volkswirtschaftliche Entwicklungen, in positiver wie in negativer Richtung auslösen, und die Fähigkeit, im scheinbaren Chaos der freien Marktwirtschaft jene Knackpunkte zu erkennen, die das  gesamte System zum Kippen bringen können.

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Prof. Dr. Fabian Dittrich, der selbst Betriebswirtschaft lehrt, hat die „Essentials“ der Betriebswirtschaftslehre, vollkommen frei von Formeln  und Diagrammen, in ein umfassendes, klug aufgebautes und auch für Laien verständliches Manuskript gepackt.

Weil es ihm darum ging, das Verständnis für das „Ganze“ zu fördern, ist er zudem in weiten Teilen auf die volkswirtschaftlichen Implikationen eingegangen.

Als ich, als Verleger, mich mit dem Manuskript befasste, kam ich auf die Idee, zu den einzelnen Kapiteln noch einige ergänzende Aussagen zu
machen, die auch noch den Blick für die systemischen Knackpunkte öffnen, die in der Hektik des erfolgreichen Tagesgeschäftes nicht
wahrgenommen oder schlicht ignoriert werden.