Der Fall Meschuggi

Ein Journalist ist ab- und (noch) nicht wieder aufgetaucht.

So tragisch das immer noch vollkommen unklare Schicksal dieses regimekritischen Journalisten auch verlaufen sein mag, die überbordenden Schlagzeilen machen skeptisch. Doch anders als beim ähnlich medial aufgeblasenen Fall Skripal geht es diesmal anscheinend nicht gegen den Präsidenten im Kreml, sondern gegen den Machthaber im Weißen Haus.

 

Die Gerüchteküche brodelt. Internationale Wogen der Empörung schlagen über den saudischen Ölförderanlagen zusammen. Es ist eine Mega-Sau, die da durchs Dorf getrieben wird – und das ohne klar erkennbaren Grund.

Es ist gar nicht so einfach, noch herauszufinden, wer damit angefangen hat, die Behauptung in die Welt zu setzen, Herr Khashoggi sei im Anwesen der saudischen Botschaft in Istanbul ermordet worden. Es sieht allerdings ganz danach aus, als sei Erdogans Türkei die Mutter aller diesbezüglichen Gerüchte.

Inzwischen ist Khashoggi nicht nur verschwunden, sondern dem Vernehmen nach auch vergiftet, gevierteilt, gefoltert und enthauptet worden, und das von einem 15-köpfigen Team des Kommandos Spezialkräfte des saudischen Königshauses. Eine Audio-Aufnahme soll das Flehen des Botschafters enthalten, die Sache doch bitte „draußen“ zu erledigen und Donald Trump, so berichtet die WELT, übe im Fall des Journalisten Khashoggi kaum Druck auf die Scheichs aus.

Warum sollte er das?

Kann mir irgendwer erklären, warum der Präsident der USA Druck auf die Saudis ausüben sollte, weil ein Journalist vermisst wird?

 

Es gibt nur eine Antwort, die einen Sinn ergibt, und die lautet:

Midterm elections

Am 6. November finden in den USA Wahlen statt. Das Repräsentantenhaus wird vollständig neu besetzt, ein Drittel der Senatoren und 39 Gouverneure werden neu bestimmt.

Stimmung gegen Trump anzufeuern, so kurz vor diesen wichtigen Wahlen, ist eine Gelegenheit, die sich die in die Opposition verbannten Globalisten der Hillary-Fraktion nicht entgehen lassen. Ihr Kampf geht weiter, unerbittlich. Und auch wenn es vollkommener außenpolitischer Unfug ist, auf den sich Hillary Clinton selbst niemals einließe, ist es doch die billigste Masche, die Forderung an Trump zu richten und genüsslich zuzusehen, unter welchen Glaubwürdigkeitsverlusten er versucht, sich aus der Falle  herauszuwinden. Es genügen ja wenige Prozentpunkte, um das Wahlergebnis gegen Trump kippen zu lassen – und irgendetwas bleibt immer hängen.

Kein Wunder, dass die Transatlantikerpresse hierzulande den Plot begierig aufnimmt und Trump vorwirft, in Menschenrechtsfragen zu schweigen, aber an Privatgeschäften mit Riad gut zu verdienen. Zum Beweis wird dann ein vollkommen legales Immobiliengeschäft von vor 17 Jahren vorgetragen, als die Saudis sich ein komplettes Stockwerk im Trump World Tower in New York kauften. Welch ein Verbrechen Trumps!

Die tatsächlichen Interessen der USA, die Trump zu vertreten hat, werden zwar auch erwähnt, aber so hingestellt, als ginge es sowohl bei den Rüstungsexporten der USA an Saudi Arabien als auch bei der Kooperation gegen den gemeinsamen Feind Iran um nichts als die persönlichen Interessen des amtierenden Präsidenten.

Soweit eine komprimierte Darstellung dieses t-online-Artikels.

Noch haarsträubender liest sich die Welt, die aus dem Khashoggi-Verschwinden glatt eine Offenbarung zusammenschreibt, die da lautet:

„Trump hat sein Land und die Welt mit seiner Politik
in eine fatale Abhängigkeit von den Scheichs geführt“.

Das ist heftig – aber nicht wahr. Auch das Kramen der WELT in den Statistiken über die Ölforderung bringt den gewünschten Beweis der Abhängigkeit der USA von den Saudis nur mit Hilfe der Behauptung, die Ölförderung der USA reiche nicht aus, den eigenen Bedarf zu decken. Dabei berichtete die Wirtschaftswoche schon im August 2014 von ersten Öl-Exporten der USA und alle Beobachter sind sich einig, dass die USA, sollten sie es nicht bereits sein, kurz davor stehen, endgültig zum Netto-Öl-Exporteuer aufzusteigen.

Da gibt es also definitiv nichts, was auch nur in die Nähe einer Abhängigkeit kommt.

Doch die WELT legt nach. Die Petro-Dollars! Ein Rekordstand von 170 Mrd. US-Dollars läge in Form von US-Staatsanleihen in den Safes der Saudis. Was, wenn die Saudis die abstoßen?

Nun, vermutlich würden die Chinesen, die weit über eine Billion Dollar in Form von US-Staatsanleihen halten, dafür sorgen, dass der Kurs nicht ins Bodenlose fällt, schon zum Selbstschutz.

Außerdem sind die Petro-Dollars keine Erfindung von Donald Trump sondern im Prinzip das Geschäftsmodell der USA seit der Erschließung der ersten Ölquellen im Nahen Osten:

Öl wird nur gegen Dollar gehandelt. Wer Öl kaufen will, muss erst Dollar erwerben, also in Richtung USA (günstig!) exportieren. Die Scheichs können dann in den USA mit den eingenommenen US-Dollar (teuer!) einkaufen und was dann noch übrig bleibt in US-Staatsanleihen anlegen, was die Staatsfinanzierung der USA dauerhaft mehr als nur sichert.

Außerdem sind die hier angegebenen 170 Milliarden nicht unbedingt ein Höchststand. Am 20. April 2016 berichtete der Focus unter Berufung auf einen Artikel der New York Times, die Saudis hätten dem damaligen Präsidenten Obama angedroht, US Staatsanleihen im Wert von 750 Milliarden Dollar zu verkaufen, sollte ein Gesetz verabschiedet werden, das es ermöglicht, „Sponsoren“ des internationalen Terrorismus vor amerikanischen Gerichten anzuklagen.

Wer 750 Mrd. Staatsanleihen verkaufen will, muss die erst mal haben, oder sollten die Saudis mit Leerverkäufen (lach!) gedroht haben?

Das an Khashoggi aufgehängte Abhängigkeitsgeschreibsel der Welt.

 

Doch zurück zur Eingangsfrage:

Wer hat den Skandal zum Skandal gemacht und warum?

Wenn es, wie es aussieht, Erdogan war, der dafür sorgte, dass das Verschwinden eines Journalisten den Weg in die Medien der ganzen Welt gefunden hat und dass die Meldungen dort seit Tagen immer alarmistischer werden, dann muss davon ausgegangen werden, dass Erdogans Schwanken zwischen USA/NATO einerseits und Russland andererseits als ein Indikator für seine Einschätzung der jeweiligen Stärke des Tiefen Staates in den USA angesehen werden muss.

Geht man davon aus, dass Erdogan zwar nicht das Ergebnis des Machtkampfes kennen kann, wohl aber in der Lage ist, den Trend zu erkennen, dann hat er sich mit dieser Aktion Trump ganz bewusst noch einmal verstärkt zum Feind gemacht, in der Gewissheit, dass die Anti-Trump-Medien den Ball aufnehmen werden, und in der Annahme, dass Trump nicht mehr lange genug im Amt bleiben wird, um sich noch wirksam revanchieren zu können. Ganz klar ein Indiz dafür, dass Erdogans Priorität darin liegt, die Vor-Trump-Verhältnisse wieder herzustellen und sein Flirt mit Putin daneben nur die zweite Wahl darstellt.

Sollte die Aktion jedoch schiefgehen, könnte er immer noch in Richtung Moskau signalisieren, er habe nun mit den Saudis immerhin den Feind des Irans in Schwierigkeiten gebracht und sich damit auch für die Lieferung des S-400 Luftabwehrsystems deutlich erkenntlich gezeigt.

 

P.S.: … und dann war da ja vor einem halben Jahr auch noch der russische Journalist Arkadi Babtschenko, dessen Ermordung von der ukrainischen Polizei gemeldet worden war, bevor er quicklebendig wieder auftauchte …

Wer weiß, ob Kharshoggi nicht auch wieder auftaucht?

 

 

 

 

 

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