Das Gewaltmonopol der Guten

Die Zeiten, in denen es als richtig galt, dem Bürger die Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung seiner Interessen zu verbieten und stattdessen ein Gewaltmonopol des Staates zu schaffen, neigen sich offenbar ihrem Ende zu. Die Zeiten, in denen es als richtig galt, dass der demokratisch verfasste Staat mit dem ihm übertragenen Gewaltmonopol so umgehen würde, dass dabei eine weitestgehend friedliche Gesellschaft im Vertrauen auf Gesetz und Recht entstünde, sind bereits vorüber.

Die Zahl derjenigen, die sich vom Staat nicht mehr gerecht behandelt fühlen und sich daher berufen sehen, die Durchsetzung ihrer Rechte selbst in die Hand zu nehmen, hat die kritische Masse bereits soweit überschritten, dass Gewaltausbrüche inzwischen als eine Erscheinungsform der Normalität im Staate betrachtet werden.

Sprechen wir nicht von den Baumschützern im Hambacher Forst, die sich frontschweinmäßig in unterirdischen Bunkern eingegraben haben und sich Katz- und Maus-Spiele mit der Polizei lieferten, bis diese so weit zurückgezogen wurde, dass die Szenerie der Schande des Gewaltmonopols aus den Schlagzeilen verschwunden war.

Sprechen wir nicht über die jugendlichen Klimaretter, die sich für die besseren Bürger halten und daher glauben, ihren Pflichten nicht nachkommen zu müssen. Ja, die Schulpflicht ist eine staatsbürgerliche Pflicht, nicht anders als die Steuerpflicht, nur hat der Staat hier Manschetten, von seinem Gewaltmonopol Gebrauch zu machen, während er es drei Tage vor den großen Ferien gegenüber den gleichen Schülern und ihren Eltern, die den frühen Flieger gebucht haben, durchaus immer wieder einmal gewaltsam durchzusetzen gewillt ist.

Sprechen wir auch nicht über die Gelbwesten in Frankreich. Lediglich der Hinweis sei erlaubt, dass die Franzosen den Deutschen einen kleinen Schritt auf der schiefen Bahn ins Chaos voraus sind.

Sprechen wir von der Wrangelstraße in Berlin.

In Berlin gab es am Wochenende eine größere Demonstration gegen den „Mietenwahnsinn“. Im Vorfeld soll in der linken Szene die Besetzung  des leerstehenden Ladens in der Wrangelstraße angekündigt worden sein, was sich nahtlos in die Tatsache einfügt, dass nach der Demo dazu aufgerufen wurde, in der Wrangelstraße weiter zu demonstrieren.

Es kam wie es kommen musste. Einige Personen verschafften sich ohne Berechtigung Zugang zu dem Laden. Die Polizei wollte diese Besetzung beenden und sah sich binnen kurzer Zeit von einem wütenden Mob eingekesselt, so dass die Polizisten im Laden die Eingangstür zu ihrem eigenen Schutz mit Mobilar verbarrikadieren mussten, während die Polizeikräfte, die den Zugang zum Laden von außen sichern wollten, tätlich angegriffen wurden. Es wurden Flaschen auf die Polizisten geworfen, es wurde Reizgas gegen sie eingesetzt, ein Polizist wurde mit einem Messer bedroht.

Die Polizei ging, nachdem den Aufforderungen, den Gehwege vor dem Laden zu räumen, nicht nachgekommen wurde, etwas rustikaler vor. Unter Einsatz körperlicher Gewalt plus Pfefferspray, konnte der Eingang zum Laden schließlich erreicht und gesichert werden.

Abgesehen davon, dass die Besetzung eines Ladens eher keinerlei Wirkung auf die Höhe der Mieten in der Hauptstadt hat, auch wenn die Aktion im Anschluss an eine Demonstration gegen die Mietkosten stattgefunden hat, handelt es sich um eine klassischen Straftat, die mindestens als Einbruch, als Hausfriedensbruch und als Widerstand gegen die Staatsgewalt angesehen werden muss und durch nichts zu rechtfertigen ist.

Doch aus den Kreisen jener Vertreter anarchistischer Selbstermächtigungslehren, die auf ihrem Marsch durch die Instanzen in die Organe der Demokratie vorgedrungen sind, werden nicht etwa die Straftäter kritisiert und verurteilt, sondern die Polizei, und damit wird zugleich das Gewaltmonopol des Staates selbst angegriffen und der Beliebigkeit ihres außergesetzlichen Rechtsempfindens unterworfen.

Skurril, aber in Berlin offenbar gedanklich möglich:

Um einen oder mehrere Einbrecher aus dem betroffenen Objekt zu entfernen, bedürfe es eines Räumungstitels.

Da berufen sich Grüne und Linke auf eine so genannte „Berliner Linie“, bei der offenbar der „Einbruch“ gar nicht vorgesehen ist, sondern nur noch die „Besetzung“, die nur nach Strafantrag des Eigentümers und mit einem Räumungstitel beendete werden könne.

Natürlich (Seit wann natürlich?) befanden sich auch Bundestagsabgeordnete in der Menge, die den Polizisten den Zugang zum Laden verwehrte, und mussten das Märtyrium erleiden, von Polizisten bedrängt und zur Seite geschoben zu werden. Canan Bayram und Katrin Schmidberger, beide der Fraktion der  Grünen zugehörig, hielten es für ihr Recht als Abgeordnete, ganz vorne mit dabei zu sein und den Vertretern des Gewaltmonopols des Staates nicht weichen zu müssen.

Erstaunlich dabei, dass die SPD in Gestalt ihres Innenpolitikers Tom Schreiber dazu klare Worte fand: Linksradikale hätten die Demo in der Wrangelstraße missbraucht, und, Abgeordnete könnten bei Demonstrationen keine besonderen Rechte geltend machen.

Inwieweit er dabei innerhalb der SPD auf verlorenem Posten steht, wird die weitere Aufarbeitung der Vorfälle im Berliner Senat zeigen.

Die Mietsituation in Berlin ist sicherlich problematisch. Sie stellt jedoch weder einen außergesetzlichen Notstand dar, noch kann sie als Rechtfertigung gewaltsamer, vermeintlicher „Notwehr“ herangezogen werden.

Es mag ja sein, dass die real existierende Demokratie sich weit vom Ideal entfernt hat.

Eine Rechtfertigung für die Rückkehr zum Faustrecht kann das jedoch weder für geschröpfte Mieter, noch für  fanatische Tagebaugegner oder klimapanische Schüler sein. Denn dies führt zwangsläufig ins Chaos und in den Bürgerkrieg.

Link zum Bericht im Tagesspiegel