Brennpunkt: Schneechaos in Elsendorf

Auch heute hat die ARD wieder einen Brennpunkt ins Programm genommen, der um 20.15 Uhr, gleich nach der Tagesschau, im Ersten und allen Regionalprogrammen ausgestrahlt werden soll. Die ARD will damit die bisher brennpunktmäßig zu kurz gekommenen Bewohner der vermeintlich von der Schneekatastrophe weniger betroffenen Gebiete ansprechen und damit die Kundenbindung ihrer gesetzlichen Abonnentenschaft stärken.

Hier der von der Redaktion bereits fertiggestellte Text des Beitrages, der am Abend unter Verwendung von Liveschaltungen von routinierten Sprechern in gewohnt fehlerfreier Qualität zum Vortrag gebracht werden soll, sofern, schneechaosbedingt, nicht etwas ganz anderes dabei herauskommt:

Guten Abend, liebe Zuschauer, wo auch immer sie uns zusehen.

Der strenge Winter des frisch angebrochenen Jahres 2019 lässt Deutschland weiterhin nicht aus seinen Klauen. Wie Sie soeben von unserer Wetterexpertin im Tagesschau-Wetter erfahren haben, sind auch für die nächsten Tage mehr als nur ergiebige Schneefälle zu erwarten, was auch in Regionen, wo sich die üblichen Fake-News-Verbreiter bisher mit der flapsigen Bemerkung: „Es ist halt Winter, was soll die Aufregung?“, über unsere vorangegangen Brennpunkte lustig machen wollten, nun den vollen Ernst der Lage spüren lässt.

Unser Brennpunkt-Team, mit zwei Ü-Wagen, drei Kameraleuten, Beleuchtern, Kabellegern, Kaffeeholern und Toningenieuren, hat sich heute im niederbayerischen Elsendorf winterfest eingerichtet. Ich spreche nun direkt und live mit unserer sturmerprobten Reporterin, Susanne Furchtlos.

Schnitt.

Guten Abend, Susanne. Wo befinden Sie sich gerade?

Guten Abend, guten Abend liebe Zuseher. Wie Sie erkennen können, fegt ein eisiger Wind durch die menschenleeren Straßen der Hopfengemeinde Elsendorf in der Hallertau und bringt die an den Hopfenstangen noch verbliebenen Hopfenhaltedrähte zu einem übernatürlich wirkenden Singen. Vereinzelte Schneeflocken wehen durch die Luft und lassen sich da nieder, wo die Männer vom Räum- und Streudienst nicht nachkommen, Straßen und Wege offen zu halten.

Neben mir

Kamera schwenkt auf Interviewpartner und zoomt heraus.

steht das Elsendorfer Urgestein, Werner Lonati. Herr Lonati: Haben Sie einen solchen Winter in Elsendorf jemals erlebt?

Ja, gut, es ist schon ein besonderer Winter heuer. Nein, einen solchenen Winter hat es hier seit Menschengedenken nicht gegeben.

Was ist für Sie das Besondere an diesem Winter?

Ja, das ist zweifellos der viele Schnee. Wenn ich so auf das Dach meines kleinen Edeka-Ladens schaue, und das tue ich derzeit fast täglich, fällt mir doch auf, dass dort bereits mehrere Zentimeter der weißen Pracht angekommen sind, und wenn die  Prognosen zutreffen, könnten aus den fünf bis sechs Zentimetern durchaus noch mehr werden. Dann werde ich wohl die Freiwillige Feuerwehr um Hilfe bitten müssen, das Dach zu räumen, denn die Versorgungssicherheit der Gemeinde hängt ja weitgehend davon ab, dass mein Laden, trotz Schneechaos, offen bleibt.

Wie sieht es denn mit den Zulieferungen aus? Wann ist der letzte Lkw bei Ihnen eingetroffen?

Das war heute am Nachmittag. Der Lieferwagen ist im Windschatten des Schneepflugs über die A93 und die B301 sicher nach Elsendorf vorgedrungen. Ohne den langsamen Schneepflug wäre er vermutlich schon am Vormittag eingetroffen. Die Straßen waren ja frei. Er hat mir aber erzählt, dass der Räumdienst von Ihnen extra für die dramatischen Außenaufnahmen bestellt worden war, und so hat alles seine Ordnung.

Schön, dass Sie das trotz der dramatischen Situation so locker sehen können, Herr Lonati, und vielen Dank für Ihre Schilderungen. Ich gebe jetzt erst einmal wieder zurück ins Studio.

Schnitt.

Ja, meine Damen und Herren, das war ein erster Stimmungsbericht aus Elsendorf. Fragen wir doch unsere Wetterexpertin, die auch heute wieder zu Überstunden im Studio verpflichtet ist.

Wetterfrau kommt von links ins Bild.

Was können Sie uns denn speziell über die Lage und die Erwartungen für die Hallertau und speziell für Elsendorf sagen?

Es sieht lange nicht so gut aus, wie es aussieht, das darf ich ohne Übertreibung sagen. Das Elsendorfer Mikroklima wird ja von der A93 und der B301 in vier vollkommen unabhängige Klimazonen geteilt. Da sind  einmal die tiefgelegenen Auen der Abens. Dort hat sich in der letzten Nacht über den Überschwemmungszonen der letzten kurzen Auftauphase eine dünne Eisschicht gebildet, die inzwischen von einer feinen, aber nicht minder tückischen Schneeschicht bedeckt ist. Das ist nicht nur das Elsendorfer Kälteloch, es ist derzeit auch lebensgefährlich, sich dort aufzuhalten. Die dünne Eisdecke trägt nicht. Darunter befinden sich zwischen einem und fünf Zentimeter eiskalten Wassers. Wer unglücklich stürzt, wird sich kaum aus eigener Kraft retten können.

Dann haben wir das eigentliche Dorf. Hier kommt es im Sommer immer wieder zu Starkregenereignissen mit nachfolgenden Überschwemmungen, im Winter bei entsprender Großlage, wenn also feuchte warme Meeresluft um das zentrale Hoch herum direkt in den Nordstau des Elsendorfer Kirchturms gerät, zu entsprechenden, nicht enden wollenden Schneefällen. Die Besonderheit des Elsendorfer Kirchturms liegt dabei darin, dass er nicht gerade steht, sondern um fast einen ganzen Meter geneigt ist, was die feuchtkalte Luft nicht frei vorbeiströmen lässt, sondern sie nach unten drückt, wo sie dann nicht nur über dem Kirchhof, sondern bis zum Bösl hinauf ihre nasse oder eben weißkalte Fracht ablässt.

Auf der anderen Seite der B301, ebenfalls durchschnitten von der A93, im Norden das Rehmoostal, von wo aus an 260 von 365 Tagen die Gefahr dichter Nebelschwaden ausgeht, und das kleine Gebiet hinter dem Bushäuschen, also die Gartenstraße, die Ziegelstadelstraße und die Birkenstraße, worüber uns leider keine ausreichenden Wetterwerte der Vergangenheit vorliegen.

Wie gesagt: Alles in allem eine verheerende Gemengelage, die in den nächsten Tagen für Elsendorf das Schlimmste befürchten lässt.

Vielen Dank für diese Auskunft auf berufenem Expertinnenmund. Dürfen Sie jetzt Feierabend machen

Ja, gottseidank. Dieses Gesülze um das bisschen Schnee, ich könnte kotzen.

Ja, meine Damen und Herren, wir schalten jetzt noch einmal nach – … ?

– oh, ich höre gerade über meinen Kopfhörer, dass der kollegiale Scherz unserer Wetterexpertin auch bei Ihnen angekommen ist. Ich versichere Ihnen, das war nur eine unserer üblichen Frotzeleien unter Kollegen und keineswegs für Ihre Ohren bestimmt. Also, vergessen Sie das einfach schnell wieder und hören Sie, wie sich die dramatische Situation in Elsendorf im Augenblick weiter entwickelt.

Schnitt.

Ja liebe Zuschauer, hier ist wieder Ihre Susi Furchtlos, wir haben uns mit einem Ü-Wagen nun über die frisch vom letzten Neuschnee geräumten Straßen bis zum Pandurenberg durchgekämpft. Hier, hoch droben am Hügel, stehen wir vor dem Anwesen von Herrn Kreutzer.

Herr Kreutzer, es ist ja erstaunlich, dass man hier oben auf dem Hügel überhaupt noch menschliches Leben antrifft. Wie halten Sie das aus, wie haben Sie sich auf den Winter vorbereitet – und was wollen Sie tun, wenn sich am Hang hinter Ihrem Haus ein Schneebrett löst?

Nun ja, Julie, meine Frau, meint ja immer, das sei nur Winter und Winter habe es immer schon gegeben und ich möge mich doch nicht so aufregen.

Aber seit ich die letzten beiden ARD-Brennpunkte gesehen habe, bin ich doch hochgradig sensibilisiert und habe gestern noch im Internet alles bestellt, was notwendig ist, um in der angekündigten Schnee- und Eiswüste zu überleben. Ein 3KV-Diesel-Drehstrom-Notstromaggregat, Bundeswehr-Dosenbrot, ein Schweizer Offiziersmesser mit mehr als 17 ausgeklügelten Funktionen, natürlich auch große Vorräte anderer Konserven, Trockenmilchpulver und Mineralwasser, natürlich aus der Region, „Abenstaler Quelle“ heißt es, und vieles andere mehr. Nach den Prognosen soll es ja am Samstag eine kurze Schneepause geben, und dann wird der DHL-Lkw schon gerade noch zu uns durchkommen. Für den Notfall habe ich aber auch schon Kontakt mit der Bundeswehr aufgenommen, so dass ggfs. eine Versorgung per Hubschrauber, und im äußersten Fall die Evakuierung erfolgen kann. Ach ja, wegen des Schneebretts: Auch da bin ich gerüstet. Alle Jahre behalte ich von Silvester eine ausreichende Zahl von Böllern zurück, um das Schneebrett per kontrollierter Sprengung auszulösen, bevor es tatsächlich gefährlich wird. Dass ich danach wieder volle fünf Minuten mit der Schneeschaufel unterwegs bin, um den Weg hinterm Haus zu räumen, ist dabei natürlich eine unvermeidliche negative Folge. Aber was nimmt man nicht alles auf sich, wenn es um Leben und Tod geht.

Eine Frage noch, Herr Kreutzer, haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, diesen doch sehr exponierten Ort zu verlassen und sich anderwo niederzulassen?

Ach, wisssen Sie, Frau Furchtlos, der Gedanke kommt natürlich immer wieder einmal auf. Aber ich bin schon viel herumgekommen – und in Elsendorf ist es einfach am schönsten. Es ist doch alles da. Wirtshaus, Bäcker, Metzger, Zahnarzt, Pizzeria, Physiotherapeut, der Bader – und der Lonati, was braucht der Mensch mehr? Dass ich in diesem Winter schon zweimal für fünfzehn Minuten zum Schneeschippen raus musste, ist natürlich lästig, aber andererseits tut ein bisschen Bewegung an der frischen Luft ja auch gut …

Sie meinen also, Herr Kreutzer, Sie könnten auch weiterhin, hier auf diesem Hügel, einsam den Elementen trotzen? Ist das nicht mehr verstockter Eigensinn als vernünftig-rationales Handeln?

Wissen Sie, Frau Furchtlos, wenn Sie und Ihr Team jetzt einfach mal die Windmaschine und die Kunstschneeschleuder abstellen würden, könnten auch Ihre Zuseher erkennen, dass wir hier in Elsendorf von diesem Winter bisher keinerlei Gefahr ausgesetzt sind. Außerdem dachte ich, Sie wollten mit mir ein Interview über wirklich wichtige Themen und wirklich bedrohliche Entwicklung, vor allem im politischen Bereich führen, stattdessen machen Sie mich hier zum …

Harter Schnitt.

Liebe Zuschauer, die Verbindung nach Elsendorf ist unvermittelt abgebrochen. Ich versuche noch mal das Team zu erreichen.

Hallo. Frau Furchtlos,
können Sie mich hören?

Ich kann Sie weder sehen noch hören.

Können Sie mich hören?

Schade, lieber Zuseher. Die Verbindung ist tot. Hoffen wir, dass dem Team und Frau Furchtlos nichts Schlimmes wiederfahren ist. Von umstürzenden Bäume, Lawinenabgängen, schleudernden Lkws und von von Räumfahrzeugen weggeräumten Mitbürgern hatten wir in den letzten Tagen ja schon mehr als genug zu berichten.

Und nun höre ich von der Regie, die Verbindung nach Elsendorf kommt heute nicht mehr zustande.

Schlussmelodie.

Das war der ARD Brennpunkt vom 11. Januar der Schneekatastrophe des denkwürdigen Jahres 2019. Sie wissen, auch das ist eine der Folgen des unaufhaltsam fortschreitenden Klimawandels, dem wir mit vereinten Kräften entgegenwirken müssen. Also gehen Sie, falls die Straßen bis dahin wieder frei sind, im Mai zur Wahl, wenn das neue EU-Parlament gewählt wird. Nur mit starken Grünen im EU-Parlament wird die Menschheit überleben.

Und bis dahin:

Halten Sie sich warm und kommen Sie gut durch.